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Grüne: So nicht nach Auschwitz

Polenreise des Kanzlers kritisiert / „Wären Sie doch besser ganz weggeblieben“, sagen die Grünen / Willy Brandt sieht trotz der „einen oder anderen Panne“ einen Erfolg / Kohl: „Historischer Auftrag“  ■  Aus Bonn Charlotte Wiedemann

Der Verlauf der Polenreise des Bundeskanzlers ist in der gestrigen Bundestagsdebatte nur bei den Grünen auf herbe Kritik gestoßen. Die Hast, in der Kohl das ehemalige Konzentrationslager Auschwitz besuchte, kommentierte der Grünensprecher Lippelt mit den Worten: „Wären Sie doch besser ganz weggeblieben.“ Für diese Äußerung mußte sich Lippelt vom FDP-Vorsitzenden Graf Lambsdorff sagen lassen, die Grünen machten sich mit den „Republikanern“ gemein. Lippelt kritisierte ferner, daß Kohl in Polen die Belange der ehemaligen Zwangsarbeiter mißachtet habe und daß ihm „kein befreiendes Wort“ zur Grenzfrage über die Lippen gekommen sei; damit habe der Kanzler „einen der wichtigsten Beschlüsse dieses Parlaments mißachtet“.

Für die SPD bezeichnete Willy Brandt die Kanzlerreise hingegen trotz „der einen oder anderen Panne“ als „Erfolg„; auch die gemeinsame deutsch-polnische Erklärung lese sich gut. Während der Parteivorsitzende Vogel es noch am Dienstag als „gravierendes Versäumnis“ bezeichnet hatte, daß Kohl keine Bestandsgarantie für die polnische Westgrenze abgab, kritisierte Brandt diesen Umstand nur sehr dezent: Der Kanzler hätte sich mit der entsprechenden Bundestagsentschließung „anfreunden“ sollen.

Bundeskanzler Kohl brachte in seiner Regierungserklärung die bundesdeutsche Wirtschaftshilfe für Polen in Zusammenhang mit den Nato-Interessen am Wandlungsprozeß in Osteuropa. Die Bundesrepublik leiste damit „im Sinne einer innerwestlichen Lastenteilung“ einen substantiellen Beitrag“ zu den Zukunftsaufgaben des Bündnisses, wie sie beim jüngsten Nato-Gipfel im Mai bekräftigt worden seien. In Zuspitzung seines vorformulierten Redetextes sagte Kohl: „Was wir als Nato-Macht für Polen leisten“, liege im gesamteuropäischen Interesse und „sollte beim Burdensharing berücksichtigt werden. Burdensharing ist der Fachausdruck für die finanzielle Lastenteilung in der Nato zwischen USA und Westeuropa. Zugleich betonte Kohl noch einmal, daß ohne die Systemänderung in Polen die jetzigen Entwicklungen in der DDR nicht hätten „heranreifen“ können. Der Erfolg der polnischen Reformpolitik liege deshalb „im deutschen Interesse“.

Im ersten Teil seiner Rede hatte der Kanzler den „historischen Auftrag“ betont, eine Aussöhnung mit Polen zu erreichen. Er berichtete über die verabredete künftige Zusammenarbeit unter anderem beim Jugendaustausch. Die am 14.November unterzeichnete gemeinsame Erklärung sei das „Kursbuch der deutsch-polnischen Zusammenarbeit an der Schwelle zum neuen Jahrtausend“. Siehe Kommentar auf Seite 8

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