ANTARKTIS WIRD KEIN MASSENZIEL WERDEN

■ Ines Gierlich arbeitet bei „Pfeifer Touristik“, die seit drei Jahren Schiffsexpeditionen in die Region der Antarktischen Halbinsel anbieten

taz: Warum veranstalten Sie Reisen in die Antarktis?

Ines Gierlich: Wir richten uns in dem, was wir machen, in erster Linie nach uns selbst wie auch nach den Wünschen der KundInnen. Und so haben wir auch mit der Antarktis einen Versuch gestartet. Wir wollen den Leuten sensibel beibringen, daß man das Gebiet zwar touristisch erschließen kann, aber immer nur in kleinen Gruppen. Als Veranstalter haben wir uns generell ein hohes Ziel gesetzt. Unsere Betriebsphilosophie ist die, keine Reise um der Bequemlichkeit willen zu veranstalten, sondern um Unbequemes auf sich zu nehmen und Bleibendes zu gewinnen. Für Reisende sicherlich ein Satz zum Nachdenken, und besonders für Leute, die in die Antarktis reisen wollen.

Sie schreiben in Ihrem Prospekt von einer „Welt, in der kaum ein Ziel mehr fremd ist...“ Was wollen die Leute genau?

Es gibt zwei Gruppen. Die einen wollen wohin, wo möglichst der Nachbar noch nicht war, das muß man einfach mal ganz klar sagen; in einer Zeit, wo Geld zwar immer noch eine Rolle spielt, aber offenbar der Etat für viele noch wesentlich höher ist als vor einigen Jahren. Denn die Reisen kosten zwischen 12.000 und 20.000 Mark. Diese Leute sagen: das Exotischste ist mir gerade exotisch genug. Die denken nicht nach. Und wenn sie Unterlagen von uns bekommen über den Antarktis-Vertrag und die Wichtigkeit des Kontinents im Zusammenhang mit unserer ganzen Umwelt, dann gucken die komisch. Die anderen beschäftigen sich wirklich mit dem Thema. Die sagen: Ja, das ist ein Kleinod, das wir uns erhalten müssen. Davon leben unsere Kinder und Kindeskinder. Wir wollen das mal sehen. Aber behutsam.

Was heißt „behutsam“ für Sie in Anbetracht des sensiblen ökologischen Systems?

Wir haben uns z.B. mit dem Antarktis-Vertragswerk befaßt, das zumindest generell die menschlichen Aktivitäten in der Antarktis versucht zu bestimmen. Die Nachfrage nach unseren Reisen ist allerdings sehr groß. Wir hatten bisher dreimal 20 Passagiere, aber wenn wir ausgeweitet hätten, wäre das kein Problem gewesen. Wir hatten ursprünglich vor, das will ich nicht verhehlen, mit dem argentinischen Schiff „Bahia Paraiso“ unsere Fahrt zu machen. Wir haben uns das Schiff dann vor Ort angesehen und sagten: Das nehmen wir nicht. Wir halten nichts davon, wenn die Argentinier versuchen, aus Versorgungsschiffen zusätzliches Kapital zu schlagen, indem man da noch 300 Leute draufbaggert. Und wohin das führte, hat man mit dem tragischen Untergang des Schiffes im Januar gesehen.

Was ist bei Ihnen nun anders?

Wenn man schon den Fuß auf solches Gebiet setzt, dann sollte da eine gute, sensible Reiseführung dabei sein. Da ist man eben nicht in New York auf der 5th Avenue. Wir haben bei unseren Touren hervorragende Wissenschaftler dabei und zusätzlich einen Reiseleiter. Zudem sind bei uns die TouristInnen auf dem Schiff untergebracht. Wir wissen, daß wir einerseits die Umwelt belasten mit unserem Unternehmen, wir wissen aber auch, daß - und daran geht kein Weg vorbei der Tourismus für das eine oder andere Land eine Notwendigkeit ist. Bei uns werden die Reisenden in Seminaren auf dem Schiff für den Landgang vorbereitet. Und die, die flapsig rangegangen sind, die kamen mit einer gesunden Portion Wissen zurück. Wir holen alle unsere KundInnen am Flughafen ab und reden bei der Gepäckausgabe mit ihnen. In den paar Minuten erfahren wir mehr als über jeden Fragebogen.

Und wie war das bei der Antarktis-Reise?

Da zeigte sich Betroffenheit. Betroffenheit, weil viele sagten, ja, hier handelt es sich um ein hochsensibles System. Hier müssen wir was tun. Plötzlich bekam sowas wie das Ozonloch eine ganz andere Dimension.

Also muß man immer vor Ort gewesen sein, um zu begreifen.

Leider.

Das sagen gerade Sie?

Wir üben diesen Beruf als Gratwanderung aus. Ich denke, daß wir über ein normales Maß engagiert sind. Geld ist nicht alles. Wenn ich mich mit alten Hasen der Branche unterhalte

-ich gehe jetzt von der Antarktis weg und komme zu einem Thema wie z.B. China -, dann kommen wir zum Kern. Wieweit kann der Kommerz die Mittel heiligen? Wieweit beziehe ich Position oder sage, ich halte mich aus jeder Form von Politik heraus? Weil ich sehe, da ist ein Markt, da ist ein Bedürfnis, und das befriedige ich.

Wie haben Sie sich bei dem Beispiel China verhalten?

Wir haben China nicht im Programm. Jeder hat uns gesagt: Ihr seid bescheuert. Aber ich muß sagen: Da hört es für mich auf. Das leisten wir uns. Wir sind natürlich ein Betrieb, der das Kaufmännische sieht und sehen muß. Aber dennoch: Wir beziehen zumindest deutlich Position.

Das ist ja sehr honorig. Aber die großen Fische werden weitermachen. Wenn nicht die Politik versucht, den Antarktis -Tourismus weiter zu regulieren, werden andere Formen virulent. Kurztrips zum Beispiel, bei denen Leute an einem Tag auf eine Station gekarrt werden, um „einmal dagewesen zu sein“.

Die Antarktis wird immer einem bestimmten Geldbeutel vorbehalten bleiben. Sie wird kein Massentourismusgebiet werden, sondern ein Ziel bleiben, wo man vielleicht in einem Maß zu Werke geht, wie man das in anderen Ländern nicht erreicht. Ein kritisches Bewußtsein hat man oder nicht, da ist die Destination egal.

Die Alternative wäre doch zu sagen, man lehnt dieses Reiseziel bewußt ab.

Nein. Die erste Reise in die Antarktis hat uns schon gezeigt: Aufklärung, auch wenn es dazu notwendig ist, daß man hingeht, ist immer noch besser. Gespräche danach sensibilisieren mehr als Boykott. Das hat nur zur Folge, daß andere sowieso weitermachen nach dem kaufmännischen Prinzip: nach mir die Sintflut.

Interview: Andrea Seibel