: Gemeinsame Weihnachten
■ M a u e r b l i c k
Keine Begeisterung: Die Gewerkschaft HBV will nicht, daß ihre Mitglieder die nächsten fünf Jahre zugunsten unserer Brüder und Schwestern am 17. Juni, dem Tag der deutschen Einheit, malochen sollen. HBV-Vorsitzender Lorenz wies den parteiübergreifenden Vorschlag von CDU-Biedenkopf und SPD -Leber zurück, weil er unsoziale Züge trage. Mehr arbeiten wollen dagegen über 10.000 Polen. Sie haben in der vergangenen Woche in der DDR um Arbeitsplätze nachgesucht. Der Andrang soll so groß sein, daß die entsprechenden Antragsformulare ausgegangen sind.
John Le Carre, berühmter Schreiber packender Spionagethriller sieht sich mit dem Fall der Mauer nicht arbeitslos. Nur weil der Kalte Krieg zu Ende ist, haben Leute wie George Smiley noch lange nicht ausgedient.
Nicht ganz auf dem laufenden Stand zeigten sich gestern die CDU-Sozialausschüsse. Weil fast die Hälfte der DDR -Bevölkerung ein Reisevisum beantragt habe, begrüßten sie insbesondere, daß sich Kanzler Kohl als Schirmherr für die CDA-Aktion gemeinsame Weihnachten zur Verfügung stellt. Tatsächlich haben aber von den etwa 16 Millionen DDR-Bürgern schon 9,7 Millionen ein Reisevisum erhalten. Und daß die alle reisen wollen, ist sicher. Bis zum Freitag waren es immerhin schon 2,4 Millionen. Nach dem Besucherverkehr kommt nun auch der ungeschützte Sportlerverkehr. Das ist das Ergebnis eines Treffenszwischen den Sportbünden der BRD und der DDR.
Bundesfinanzminister Waigel hat gestern die westdeutschen Zollbeamten ausdrücklich gelobt, die den Massenansturm unserer Landsleute klaglos bewältigen.
Einen deutsch-deutschen Rundumschlag landete gestern auch die FDP. Der SPD warf Generalsekretärin Schmalz-Jacobsen vor, mit immer neuen Vorschlägen und Forderungen zur Zerstrittenheit in der Deutschlandpolitik beizutragen. Aber auch die Union kommt bei ihr schlecht weg. Sie erwecke mit immer neuen Rezepten nur den Eindruck der Kopflosigkeit. Kohl selber beteuerte, daß es mit ihm in der existentiellen Frage der deutschen Einheit keinen nationalen Alleingang geben werde.
13 Milliarden Mark will der Bund deutscher Jungunternehmer einsparen. Nach seiner Ansicht ist mit der Öffnung der Grenzen die Zonenrandförderung hinfällig. Die Gelder sollten nun für eine tiefgreifende Steuerreform verwendet werden.
Ihren bürokratischen Aufwand einsparen wollen auch die Sicherheitsbehörden. Im Bonner Innenministerium wird derzeit geprüft, ob die Sicherheitsrichtlinien, die Bundesbediensteten die Einreise in die kommunistischen Länder verwehren, nicht vielleicht schon im kommenden Jahr gelockert werden könnten.
wg
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