: Ich les nicht gern alleine
■ Oldenburger Kinder- und Jugendbuchmesse und Kinderfilm-Festival eröffnet
Die Fahrenden Musikantinnen und ihre Freunde, die Bänkelsänger, die Artistenvettern und Gauklerkousinen hatten gerade den musikalischen Spielplatz geräumt, da stürmte die Meute ohne große Worte den Lesesaal und eroberte sich schnurstracks die Schmökerecken und Leseflecken. Der Kulturdezernent und seine Sippschaft, die Oberstudienräte und Hochschulprofessoren, die gesamte selbsternannte Wächterschar über das Lesegut, hatten ein Einsehen und schwiegen, den Kindern zuliebe. So durfte die „KIBUM“ von denen eröffnet werden, für die sie gedacht ist. Vom klingenden Bilderbogen, der leise lachenden Eule und ihrem Lockruf: „Kommt und macht Euch auf die Beine, denn ich les nicht gern alleine.“ Noch immer ist die KIBUM, trotz wachsender Konkurrenz, eine der größsten und bedeutendsten Kinder- und Jugendbuchmessen in der Bundesrepublik. 1.500 deutschsprachige Neuerscheinungen, darunter 140 aus acht DDR -Verlagen sind es, die bis zum 28. November auf der Bücherschau im Cäciliensaal in Oldenburg ausgestellt werden. Präsentiert werden die Bücher ohne aufwendige Sortierung, nur nach
Sachgruppen und Altersunter
schieden wird ein wenig Orientierung angeboten - ein liebenswertes Durcheinander, das gleich ans heimische Kinderzimmer denken läßt. Ein umfangreiches Rahmenprogramm begleitet die Messe. Vorträge, Autorenlesungen, Märchenstunden, Puppentheater, Video-Studio, Kinderfilmfestival, Kinderballett und Bilderbuchkino - für jede, die in diesen zehn Tagen Kind sein möchte, ist etwas dabei.
„Denn ich les nicht gern alleine“ - selten finden sich Orte, an denen es sich lesende Menschen gemeinsam gemütlich machen. Auf der KIBUM geht das - da hocken die Kleinen, vergessen und vertieft, über Bildern und Buchstaben, entziffern und durchleben Geschichten. Den Finger im Mund, die Zunge ganz aufgeregt auf dem Wege zur Nasenspitze. Auf dem Schmökerboden liegen sie wie die Sommerfrischler am Strand von Rimini. Hingeflezt, rücklings, auf dem Bauch, mit der einen Hand den schweren Kopf stützend. Kollektive Lesevergnügen, animiert zum Blättern, umgeben von Seines und Ihresgleichen. Fachsimpeleien über das Verhältnis von Asterix zu Troubadix, angeregte Debatten über Lucky Luke, entrücktes Lesen in dickleibigen Romanen - das das Ende der Lesekultur angebrochen sein soll, mag
an dieser Stelle und angesichts dieser Bilder niemand so recht glauben.
Den diesjährigen, mit 10.000 Mark dotierten Oldenburger Jugendbuchpreis erhalten heute abend zwei junge Schweizer Autorinnen. Ausgezeichnet werden sie für ihren Roman „Stärker als ihr denkt“, der in der Mitte des vergangenen Jahrhunderts in der Stadt Basel spielt. Eigene For
schungen über die damalige Situation von Arbeiterfrauen haben sie zur Grundlage ihres Buches gemacht, überlieferte Verhörprotokolle des Basler Strafgerichts um 1850, bei denen es um Fälle von „Kindesmord“ und „verheimlichter Schwangerschaft und Niederunft mit einem toten Kind“ ging, als historisches Material verwendet.
Andreas Hoetzel
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