: Beim Konzert muß es stimmen
■ Warum Manfred Seidl, Leiter der „Bremer Chorwerkstatt“, einen neuen Chor will
Die „Bremer Chorwerkstatt“, 1981 als politischer Chor gegründet, ist in Bremen eine Institution geworden. Jetzt hat sich der Leiter, Manfred Seidl, Musiklehrer, Komponist, umtriebiger musikalischer Tausendsassa, vom Chor getrennt. Er will einen kleineren, aber leistungsfähigeren Chor aufbauen.
taz:Als ich bei Euch mitgesungen habe, die Liebeslieder für den Brahms-Abend, gab es immer so komische Skrupel. Alle sangen mit Begeisterung, wußten aber nicht, ob man sowas singen dürfe, sowas Bürgerliches.
Manfred Seidl:Das war 83, da gab es Empörung und Austritte. Das hing mit der Standortbestimmung als politischer Chor zusammen. Ich war auch etwas verunsichert. Immerhin gab es noch den KBW, die KPD. Konnte man sich da als politischer Chor hinstellen und belanglose Liebeslieder singen?
Was war Euer politischer Anspruch?
Seidl:Mit Musik zu politischen Ereignissen Stellung zu nehmen. Mein großes Vorbild ist schon immer der Hans Eisler gewesen, der konnte ganz schnell, wenn es anstand, eine Solokantate oder ein Chorstück komponieren. Ich hab ja auch viel komponiert aus dem Grund, z.B. für die „Bestandsaufnahme“ 1984, weil es zum Sterben der Fische oder der Bäume einfach keine Musik gab, also mußte eine her. Oder wir haben zu z.B. zu Kästner-Texten Walzer gemacht.
Wir sind zunächst aufgetreten ohne Vorstellung von eigenen Veranstaltungen, z.B. auf den Friedensfesten, in Lüssum z.B. haben wir den „Graben“ von Eis
ler gesungen. Wir haben Kontakte zur Gewerkschaft aufgenommen. 1. Mai oder 1. September waren für uns ganz wichtige Termine, obwohl nicht immer wir drangekommen sind, sondern „Die Zeitgenossen“. Da spielte auch die Macht der DKP eine Rolle. Bis wir dann gesagt haben, wir hängen uns nicht mehr an die Gewerkschaft ran oder sonst jemanden, sondern wir stellen uns auf eigene Beine. Unsere erste selbständige Produktion war „Die Bestandsaufnahme“. Ab da haben wir dann jedes Jahr ein Konzert gemacht. Ab da wuchsen die Ansprüche. Der Chor wurde besser. Aber dennoch, wenn bessere Leute zu uns gekommen sind, sind sie häufig nicht lange geblieben, weil ihnen das Tempo zu langsam war. Wir sind oft eine Durchgangsstation zum Domchor gewesen. Weil der auch die attraktiveren Konzerte macht. So ein Chor hat auch ein Forum, muß nicht vor halbvollem Saal singen, muß nicht um den Aufführungsort kämpfen wie wir. Wir haben dann gesagt: Wir machen ein schönes, größeres Werk, den „Canto General“ von Theodorakis, weil da alles stimmt: Die Musik macht Spaß, sie ist ziemlich eindeutig politisch, aber auch wieder nicht so eindeutig, daß sie sich einer bestimmten Partei zuordnen ließe. Mit diesem Werk konnten wir mit Konzertchören konkurrieren. Das hat Spaß gemacht. Aber die Frage ist, in welcher Richtung soll es weiter gehen. Es gibt ja nur einen Theodorakis. Wir wollen ja auch weiter was zu politischen Ereignissen machen.
Dazu müßtest Du dann aber schon selber komponieren?
Seidl: Ja, sicher, obwohl ich den Chor wirklich nicht nur mit meinen Sachen füttern will, das hielte ja keiner aus. Aber: Brecht und Eisler konnten schnell arbeiten, wir haben für die „Bestandsaufnahme“ ein ganzes Jahr gebraucht.
Du willst also grundsätzlich anders arbeiten.
Seidl: Ja, dafür braucht man einen Chor, der regelmäßig probt und auch die Konzerttermine wahrnimmt. Wie oft haben wir z.B. Angst gehabt, ob auch wirklich alle kommen, wenn wir auftreten. Jetzt steht man da: Der Standard, an dem man sich messen muß, ist der gängige Musikbetrieb, an dem kommt man nicht
vorbei. Als wir uns früher im Schlachthof hingestellt haben und eine Stimme hat nicht eingesetzt, dann hat sie halt nicht richtig(c)eingesetzt. Wozu deshalb Streß. Das sehe ich jetzt anders. Wenn man Konzerte macht, dann muß es auch stimmen. Und ich möchte einen Chor aufbauen, mit dem ich ein gemischtes Programm schneller und gut machen kann, von der Renaissance bis zu aktuell-politischen Stücken. Fragen:Uta Stoll
Die Versammlung der „Chorwerkstatt e.V.“ hat eine eigene Stellungnahme, um die die taz gebeten hatte, abgelehnt. Sie will den Konflikt nicht durch Öffentlichkeit verschärfen.
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