Narziß, Narzissen

■ „Kindertheaterstück“ bei der Shakespeare Company - Prima „Götterspeise“

Also diese Götterspeise ist wirklich ein Leckerbissen (noch besser als Schokoladenpudding) - nicht nur, weil das Stück tatsächlich „Götterspeise“ heißt und „Leckerbissen aus den Metamorphosen des Ovid“ präsentiert. Wenn Sie jetzt angstvoll abwinken, weil Ihnen römische Dichtkunst zu hoch ist, dann lassen Sie sich von Publius Ovidius Naso eines besseren belehren: Der erzählt fünf Geschichten auf eine so faszinierende Art und Weise, daß man am liebsten den ganzen Nachmittag im Theater verbringen möchte.

Publius Ovidius Naso ist ein Gnom und turnt beängstigend gelenkig auf einem Holzbrett herum. Zwischen Leiter und

Stuhl gelegt, macht diese fabel-hafte Bühne keinen sehr stabilen Eindruck. Soll sie auch nicht: denn unser plattfüßiger Gnom und Erzähler bleibt nicht einfach, was er ist. Er wandelt sich - und mit ihm Himmel, Erde, Mensch und Tier. Schließlich haben die Götter ihre Finger im Spiel. Da steigt beispielsweise Helios, der Sonnengott, die Leiter empor zum scheinwerferstrahlenden Himmelzelt, da darf sein Sohn Phaeton mit dem Sonnenwagen über den Himmel fahren. Ein verschnupfter Reporter sieht alles kommen: Phaeton rammt einen Stern und fällt. Tot. Aber auch Menschen und Zahnärzte machen viel Quatsch und gehen deshalbselbst zugrunde. Bis auf zwei, die

den Weissagungen eines griechischen Orakels folgen, das sogar hörbar Silben trennen kann.

Kindertheater, so lebendig, kraftvoll, lustig und einfallsreich, wie es - immer - sein sollte. Ohne pädagogische Botschaft, ohne große Kulisse, die die eigene Phantasie erschlägt. Unter der Regie von Susanna Kartusch agieren die beiden Schauspieler Barbara Kratz (Essen) und Christian Kaiser (Neuer bei den Shakespeares) im Sinne des Wortes so „leichtfüßig“ zwischen Himmel und Erde, daß das Publikum den Atem anhält.

Eine Stunde liebevolle Heiterkeit - und die vorsichtige Lust, in den „Metamorphosen des Ovid“ selber mal zu blättern. M.M