: „Let's go West“
■ Zu Besuch beim Ostberliner Lokalderby 1.FC Union gegen Rotation Berlin / Randale schafft Verbundenheit zwischen Fans des 1.FC Union und Hertha BSC
„Beleidigungen und Beschimpfungen sind verboten, weil es unsportlich ist.“ So eindringlich erinnern große Schilder am Weg zum Stadion daran, sich gefälligst zu benehmen. Die Befürchtungen sind aber diesmal völlig grundlos. Zwar haben sich im modernisierten Stadion an der alten Försterei mehr als tausend Menschen eingefunden, um das Liga-Lokalderby 1.FC Union gegen Rotation Berlin anzuschauen, was eine ungewöhnlich hohe Zahl ist und schon fast an die Rekorde von Blau-Weiß 90 heranreicht, doch die Stimmung ist ruhig und entspannt: Liebevoller Zynismus spricht aus den Zurufen und Bemerkungen über das Spiel auf dem Rasen, keineswegs blöder Fanatismus.
Trotzdem sind zwei mit Beamten gefüllte Lastwagen der Volkspolizei angerückt, die aber merken, daß nichts zu tun ist und sich am Kiosk um Brühwurst mit Mostrich drängeln. „Die Rabauken sind alle zu Hertha“, erklärt ein alter Mann, „eigentlich unnötig, weil, die kriegen hier den gleichen Scheiß zu sehen wie drüben“, feixt sich eins und diskutiert mit seinen Kumpels weiter über den aktuellen Bundesliga -Spieltag.
Der 1.FC Union, Liebling der Fußballfans aus der Hauptstadt, muß sich nach Öffnung der Mauer vorerst wohl damit abfinden, nicht so interessant zu sein wie der West -Verein Hertha - jedenfalls solange der Eintritt dort für Ostdeutsche frei ist. Daß die Union-Fans gerade zur Hertha BSC rennen, hat seinen Grund in einem seltsamen Verbindungsgefühl der Anhänger beider Vereine zueinander, von denen einige als üble Randalierer gefürchtet sind.
Doch während die „Hertha-Frösche“ mit rassistischen Beschimpfungen, Schlägereien und der Zerstörung von U-Bahn -Waggons permanent erstklassige Beweise des Sozialverhaltens gehirnamputierter Sexualneurotiker erbringen, lagen die Ursachen der Randale bei den Union-Fans meist in der Wut gegen die Staatsmacht.
Besonders kraß zeigte sich dies bei Spielen gegen den BFC Dynamo, den Verein der „Schutz- und Sicherheitskräfte“, kurz Stasi-Klub, natürlich finanziell bevorzugt und seit langem die erfolgreichste Fußballmannschaft in Berlin-Ost. Vor und während der Oberliga-Spiele zwischen diesen Vereinen kam es regelmäßig zu Ausschreitungen und Krawallen, teilweise wurde mit großen Aufgeboten an Vopos das Stadion abgesperrt, die Aufmüpfigen einkassiert und registriert.
Der Frust über die monetäre und sportliche Benachteiligung des FC Union, der regelmäßig zwischen Oberliga und Liga pendelt, oft durch dubiose Abwerbungen und Befehle „von oben“ seine besten Spieler an andere Klubs abgeben mußte, ist aber immer nur Auslöser gewesen für die eigentliche Ursache des Hasses gegen die bedrückende Staatsmacht. Wirkliche Rechtsradikale sind da eine verschwindende Minderheit.
Die richtigen Krawallmacher sind eh im Olympiastadion, und die hiergebliebenen Zuschauer meckern nur noch über das schlechte Spiel - trotz eines klaren 4:0 Erfolges der Unionisten. Manche folgen den Aufforderungen aus dem Stadionlautsprecher, der zur Halbzeit die Stille im Köpenicker Forst mit Country-musik stört - „Let's go West“ heißt der Refrain -, und fahren zur zweiten Hertha-Hälfte nach Charlottenburg.
Schmiernik
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