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Pressefreiheit - aber wann?

■ Die unabhängige Presse der UdSSR will nicht länger warten - sie handelt jetzt schon, schreibt 'Moskau News‘

Tag für Tag können wir von unseren Redaktionsfenstern etwas beobachten, was offiziell nicht existiert. Unsere Mitbürger bilden kleine Gruppen um Leute, die fotokopierte, computergedruckte, rotaprintvervielfältigte, seltener in Druckereien hergestellte Zeitungen, Bulletins, Informationsblätter verkaufen. Es handelt sich um Samisdat oder, wie mancher sagt, Ausgaben der „unabhängigen Presse“. Gestern noch war sie nur einem engen Kreis bekannt, jetzt, im Umfeld von Glasnost, hat sie ihren Weg auf die Straßen und Plätze gefunden. Einige dieser Blätter kann man sogar abonnieren.

Von Zeit zu Zeit aber müssen wir mitansehen, wie einer der Samisdat-Verkäufer von Polizisten in deren Streifenwagen verfrachtet wird.

Das war uns Anlaß, Vertreter der „unabhängigen Presse“ in unsere Redaktion zu bitten und zunächst einmal herauszufinden: Was stellt dieses illegitime Kind der Perestroika eigentlich dar und wie soll sich die Gesellschaft zu ihm verhalten.

Unserer Einladung folgten: Alexander Werchowski und Anatoli Papp von der Zeitung 'Panorama‘, Viktor Solotarow von der Zeitung 'Bürgerwürde‘, Sergej Iljin von der Zeitschrift 'Gemeinde‘ des Verbandes der Anarcho-Syndikalisten, Michail Kasarinwo von 'Newa Notizen‘ (Leningrad), Viktor Korezki von der Zeitschrift 'Bote der Gesellschaft für Freundschaft und kulturelle Kontakte mit Israel‘, Pawel Kudjukin vom Bulletin 'Offene Zonen‘, Alexander Morosow von der Zeitschrift 'Paragraph‘, Gleb Pawlowski, unabhängige Nachrichtenagentur 'Post Faktum‘, Olga Pizunowa, Umweltzeitschrift der Grünen 'Dritter Weg‘ (Saratow), Wladimir Prabylowski, Zeitung 'Chronograph‘, Alexander Sujetnow von der Zeitschrift 'Unabhängiger Bibliograph‘ und Alexander Schmokler vom 'Informationsbulletin für Probleme der jüdischen Repatriierung und Kultur‘.

Die Gesprächsleitung hatte 'Moskau News'-Redakteur Len Karpinski. Wer sind Sie?

Alexander Sujetnow: Die Zeitschrift 'Unabhängiger Bibliograph‘ entstand im Januar dieses Jahres, und dafür gibt es mehrere Gründe. Erstens erlebt die unabhängige oder alternative Presse heute einen wahren Boom. Während es 1987 rund zehn bis zwanzig derartige Ausgaben gab, weiß ich heute von 548 allein in russischer Sprache. Wir haben es mit einer neuen gesellschaftlichen Erscheinung zu tun, die aber von der offiziellen Presse und den offiziellen Organen scheinbar nicht zur Kenntnis genommen wird, und wenn doch, dann gewöhnlich ziemlich einseitig, im Geiste der eingefahrenen denunziatorischen Klischees.

Bis 1989 handelte es sich bei der nicht zensierten sowjetischen Presse hauptsächlich um politische Studien und literarische Werke; die aus unterschiedlichen Gründen verboten wurden. Seit Beginn der Perestroika geben in der alternativen Presse, grob gesagt, drei Richtungen den Ton an: gesellschaftspolitische (die meisten), religiös -philosophische und literarisch-künstlerische Ausgaben. Leider kann ich keine akzeptable Klassifizierung der politischen Presse anbieten, da die Begriffe rechts und links bei uns längst durcheinandergeraten sind. Von den etwa 200 Ausgaben besitzen 150 eine eigene politische Plattform. Sagen wir, die Zeitschriften 'Glasnost‘ und 'Referendum‘ sind liberaldemokratisch (nach westlichem Begriff) orientiert, die Zeitungen 'Panorama‘ und 'Bürgerwürde‘ gemäßigte demokratische Zeitungen, die 'Express Chronik‘ radikaldemokratisch. Zur sozialistischen Richtung gehören die Zeitschriften 'Linkswende‘ (Moskauer Volksfront) und 'Offene Zone‘ (Klub Demokratische Umgestaltung). Die bloße Erwähnung der 'Gemeinde‘, Zeitschrift des Bundes der Anarcho -Syndikalisten, veranlaßt westliche Journalisten immer zu der erstaunten Frage: „Was, sowas habt ihr auch?“

Weit verbreitet sind Ausgaben von unabhängigen gesellschaftlichen Organisationen mit klar abgegrenzten Interessensbereichen, wie z.B. die 'Chronik‘, Ausgabe des Moskauer Wählerklubs - oder 'Tag für Tag‘ - Sprachrohr der Gruppe für Vertrauensbildung zwischen Ost und West. Auch Vertreter einzelner Bevölkerungsgruppen haben sich mit eigenen Druckerzeugnissen versehen. Als Tribüne der Arbeiter gelten die Zeitschriften 'Sturmgeläut‘, 'Arbeiterweg‘ und 'Proletarischer Bote‘, auf die städtischen Intellektuellen zugeschnitten ist der 'Paragraph‘, in Leningrad erscheint das großformatige Feministinnenjournal 'Weibliche Ansichten‘. In der Provinz wachsen überall Blätter „zur Unterstützung der Perestroika“ hervor, die Amtsmißbrauch und Konservatismus örtlicher Behörden aufspießen. Herausragend unter ihnen ist das 'Bulletin für Freiwillige Unterstützung der Perestroika‘ (Apatil), die Zeitschrift der Organisation 'Für die Volksfront Stawropols, Bürger, Ainu‘, das Bulletin des unabhängigen Informationszentrums in Süd-Sachalin usw.

Unter den religiös-philosophischen Zeitschriften konkurrenzlos ist 'Entscheidung‘, die Zeitschrift für russische christliche Kultur. Vielfältig und interessant ist das überkonfessionelle 'Bulletin der christlichen Öffentlichkeit‘, das bemüht ist, alle Aspekte des religiösen Lebens bei uns zu behandeln. Es gibt auch die christliche Kinderzeitschrift 'Kreis‘.

Der Literatur-Selbstverlag hat sich in den letzten Jahren kaum entwickelt, was sich aus den wesentlich erweiteren Möglichkeiten offizieller Ausgaben erklärt. In kleineren Auflagen erscheinen noch die Ende der siebziger Jahre aufgekommenen Leningrader Zeitschriften 'Uhr‘ und 'Umgehungskanal‘. Postmodernistische Tendenzen verfolgen zwei 1985 entstandene Zeitschriften - 'Mitin Journal‘ in Leningrad und 'Ypsilon-Salon‘ in Moskau. Die Aufzählung ließe sich fortsetzen...

Mit Ausnahme einiger Zeitungen erreicht die Auflagenhöhe der unabhängigen Ausgaben selten mehr als 200 bis 300 Exemplare. Gewöhnlich werden sie mit der Schreibmaschine getippt und dann vervielfältigt. Die meisten Redaktionen arbeiten aus purer Begeisterung. Die Redakteure lassen sich viel einfallen, um ihre Meinung an den Leser zu bringen: In Gorki gab es eine Zeitlang eine laufende Litfaßsäule, die der darinsteckende Redakteur durch die Straßen der Stadt schleppte. In Rowno wird eine Zeitung in Plakatform hergestellt und an Holzzäune geklebt. Die monatliche Gesamtauflage der unabhängigen Presse liegt nach meinen Schätzungen bei über 80.000 (ohne die baltischen und die Kooperativ-Blätter), die Zahler der Leser bei ungefähr 300.000, der Verbreitungsraum ist die gesamte Sowjetunion.

Wie diese bislang einzigartige und daher einmalige Studie verdeutlicht, ist die unabhängige Presse der Perestroika vielgestaltig und vielstimmig und in ihrer sozialen Orientierung äußerst widersprüchlich. Aber sie existiert und richtet sich mehr oder minder an alle Bevölkerungsschichten. Angesichts von Glasnost und Meinungspluralismus, da anscheinend doch alles in der offiziellen Presse abgehandelt werden kann, hätte der Samisdat eigentlich in der Versenkung verschwinden müssen. Das aber geschah nicht.

Wir haben es also mit einer Realität zu tun, und es wäre zumindest dumm, sie mit einer Vogel-Strauß-Haltung abzutun. Selbst wenn es sich um eine Erscheinung von nicht gesamtnationaler Bedeutung handelt (was ist denn für unser Land schon ein 300.000köpfiges Publikum?), die außerdem noch im Grunde ein Konglomerat aktueller gesellschaftlicher Gedankengänge darstellt, die praktisch keine Berührungspunkte besitzen (die Mitglieder der Organisation „Für die Volksfront Stawropols“ dürften kaum die Ausgaben des „Unabhängigen Informationszentrums Süd-Sachalin“ lesen und die Freunde des 'Proletarischen Boten‘ über den 'Ypsilon -Salon‘ nur die Schulter zucken).

Aber das bringt uns zu einem der wichtigsten Probleme der demokratischen Gesellschaft, zur Interessenvertretung der Minderheiten. Jede „unabhängige“ Ausgabe entsteht in einem ideologischen oder informatorischen Vakuum, das sich bei den Veröffentlichungen der großen Presse bildet. Jede vertritt bestimmte Interessen, die aus unterschiedlichen Gründen in den offiziellen Massenmedien keinen Ausdruck finden. Jede gewinnt ihre Leser und damit ihre Lebensfähigkeit, oder gewinnt sie nicht und muß daher eingehen. Wofür und für wen sind sie?

Alexander Werchowski: 'Panorama‘ ist eine Zeitung, die hauptsächlich über gesellschaftliche Bewegungen, über jene Kreise berichtet, die allgemein alsInformelle bezeichnet werden. Ich kann mir nicht vorstellen, daß eine Zeitung wie 'Panorama‘ von Journalisten der offiziellen Presse gemacht werden könnte, weil sie infolge ihres gewohnten Verhältnisses zu ihren Chefs im Gespräch mit mir sogar schon vorher klarlegen: Darüber werde ich schreiben, darüber nicht. Der Leser ärgert sich allmählich über die „große Presse“, erkennt aber sehr gut Unausgesprochenes und Überzogenes im Hinblick auf die heutige Situation. Besonders unerträglich ist das in Verbindung mit dem Zeigefinger. Die Presse informiert nicht, sie versucht, uns irgendwohin zu lenken.

Sergej Iljin: Die Zeitschrift 'Gemeinde‘ ist das Organ des Anfang Mai 1989 gegründeten Bundes der Anarcho -Syndikalisten. Genauer, wiedergegründeten, da eine solche Organisation zur Revolutionszeit in Rußland bestand und de facto zerschlagen wurde. Unter der Idee des Anarchismus, die wir propagieren, ist durchaus nicht der Aufruf zu Unruhen, Gewalt und Gesetzlosigkeit zu verstehen, sondern ein bestimmtes System von Standpunkten zum Verhältnis zwischen Staat, Gesellschaft und Individuum. Und viele Konzepte des Anarcho-Syndikalismus klingen an die Gedanken der betrieblichen Selbständigkeit, des Genossenschafts- und Pachtwesens an, das heißt, an Gruppen- oder Privateigentum, frei von der direkten Einmischung staatlicher Dienststellen.

Viktor Solotarow: Unsere Zeitung 'Bürgerwürde‘ ist ein politisches Blatt mit einer Auflage von 1.000 Exemplaren pro Woche. Selbstverständlich versuchen wir, auf die politischen Vorgänge der Perestroika zu reagieren. Um einmal knapp zu formulieren, was die jetzige Perestroika darstellt, würde ich sagen, sie ist die Reaktion der Gesellschaft auf die Krise in unterschiedlichen Bereichen, und wie wir aus dieser Krise herauskommen sollen, weiß bis heute niemand. Dafür kann es unterschiedliche Modelle geben. Wir haben unseren Standpunkt, und wenn die Möglichkeit bestünde, ihn auf offizielle Weise darzustellen, würden wir das tun.

Viktor Korezki: Wir wären glücklich, wenn wir das, was uns angeht - ich meine die nationale Gesinnung jüdischer Kreise

-in der offiziellen Presse bringen könnten. Aber wir vertreten einen der offiziellen Ideologie direkt zuwiderlaufenden Standpunkt zu den Problemen des Zionismus. Und bisher kann niemand, außer aus unseren Angaben, erfahren, was Zionismus von unserem Standpunkt aus ist, im Unterschied zu dem, der in der offiziellen Presse angeboten wird. Das zweite Anliegen unseres Blattes ist, Informationen zu jüdischen Problemen zu sammeln.

Alexander Morosow: Die Zeitschrift 'Paragraph‘ ist das Sprachrohr der „glücklosen Einzelgänger“ der siebziger Jahre. Diese Menschen haben die Stagnationszeit durchgemacht, fühlen sich völlig desintegriert, und wollen sich deshalb als Individuum bewahren. Daher auch unsere Leserschaft: Hauptsächlich die Schicht der 30jährigen Intellektuellen, die in den siebziger, achtziger Jahren stumm geblieben sind, keinen Konflikt mit den Machthabern eingingen, aber mit ihrem Gewissen haderten und den Stagnationsprozeß passiv durchlebten.

Pawel Kudjukin: Warum und wozu das Bulletin 'Offene Zone‘ (Organ des Klubs „Demokratische Perestroika“) existiert? Wir meinen, die reale Perestroika mit ihrer ganzen jetzigen Unwägbarkeit neigt ebenfalls zum Autoritarismus, was neue sozialpolitische Spannungen hervorbringt. Den Tendenzen zur autoritären Modernisierung wollen wir den Kurs auf die demokratische gewaltlose Revolution entgegenstellen. In diesem Sinne sind wir ohne Zweifel ein Erzeugnis der Perestroika, die wir als echte Einbeziehung der Massen in die Politik, als Übergang vom ausschließlichen Handeln des Apparats von oben zum Handeln von unten verstehen. Dabei machen wir natürlich unsere Einschränkungen, die sich in drei grundsätzlichen Verneinungen zusammenfassen lassen. Keine Gewaltpropaganda, keine nationale und Rassenintoleranz, kein Monopol auf die Wahrheit.

Michail Kasarinow: Die Presse hat heute, glaube ich, zwei Aufgaben. Die politische Aufklärung der breiten Bevölkerungsmassen und die Verdeutlichung dessen, wohin wir uns eigentlich bewegen. Das weiß heute niemand so richtig. Aus diesem Widerspruch heraus gestaltet sich das Profil unserer Zeitschrift.

Wladimir Pribylowski: Wir haben 'Chronograph‘ als Blatt des schnellen Reagierens gedacht. Jede Nummer soll sich mit einem bestimmten Ereignis - einer Kundgebung, einer Demonstration oder auch mit einer erneuten Spaltung unter den Informellen befassen. In erster Linie bringen wir Reportagen von Brennpunkten. Dabei verschenken wir nie die Chance, uns über die Informellen und über die Miliz und eo ipso über uns selbst lustig zu machen. Aber wir sind nicht auf bloßen Spott aus, sondern wollen, daß dabei unsere Realitäten erkennbar werden. Auch in der neuen demokratischen Bewegung gibt es sehr viel Müll, werden, wenn vielleicht auch ungewollt, die Verrücktheiten des staatlichen Weisungssystems kopiert.

Die intensive Entwicklung der unabhängigen Presse, die unter Glasnost zu beobachten ist, ist keine Absurdität, sondern eher die natürliche Reaktion auf die jahrzehntelang verordnete Monotonie wie auch, was noch wichtiger ist, auf die gegenwärtige Situation. Die unabhängige Presse widerspiegelt vor allem die in der Gesellschaft objektiv vorhandene Stimmungsvielfalt. Ihr Ursprung ist im Erwachen aus dem historischen Schlaf, im Bemühen der Menschen zu suchen, sich zu erklären, bei der Bewältigung der Geschicke des Landes mitzureden, mitzumachen.

Aber nicht alle Amateurblätter sind vom Gedanken des zivilisierten Dialogs und der konstuktiven Zusammenarbeit getragen. Manche sind ohne Rücksicht auf Streit aus oder wiegeln gar dazu auf: Sie höhnen, statt zu kritisieren, beleidigen, statt zu streiten, verwerfen, statt zu urteilen und zeigen Muster an Intoleranz. Wie überall finden sich auch im Samisdat vom stalinistischen Denken angekränkelte Ultras, nur sozusagen in umgekehrter Richtung. Die unabhängige Presse bietet also durchaus kein idyllisches Bild. In diesen Fällen haben wir es nicht mehr mit Dissidententum oder Wachstumsschwierigkeiten zu tun, sondern sozusagen mit moralischer Korruption in einzelnen Gliederungen der informellen Bewegung. Am schlimmsten dürfte sein, daß die Lanzenträger der Informellen den Lanzenträgern der Konservativen unter die Arme greifen, die mit Vergnügen Extreme einer gesellschaftlichen Bewegung auf alle Bewegungen bezieht und nach Härte rufen. Aufhebung der Verbote

Pawel Kudjukin: Ich denke, der Weg, der es gestatten würde, die Konfrontation mit dem Staat und Auswüchse der Unabhängigkeit zu vermeiden, wäre die Aufhebung der unsinnigen Rechtsbeschränkungen, die in unserem System zu Hause sind. Jeder sollte eine Druckerei aufsuchen und im Rahmen der Verfassung, auf gesetzlicher Grundlage, Aufträge erteilen oder ein kommerzielles Blatt gründen können.

Die Aufhebung der Verbote, genauso wie die Einführung bestimmter Beschänkungen, was ebenso natürlich ist, wäre die Ausgabe eines Pressegesetzes. Die unabhängigen Ausgaben bekommen es ja ohnehin täglich mit dem Recht zu tun, nur nicht in Form eines Gesetzesparagraphen, sondern in Gestalt des Polizisten. Was ist nun besser?

Olga Pizonowa: Ich bin hier, soweit ist sehe, die einzige Vertreterin der unabhängigen Provinzpresse. Der 'Dritte Weg‘ ist ein Organ der Grünen. Ich möchte bemerken, daß das Prä der unabhängigen Presse - und es ist natürlich ein Prä angesichts der an Rechtlosigkeit grenzenden Rechtsunsicherheit den provinziellen Selbstverleger in jeder Hinsicht teuerer zu stehen kommt als den Moskauer oder Leningrader. Die meisten unserer Beiträge erscheinen handschriftlich oder getippt, da jeglicher Zugang zu Fotokopiergeräten versperrt ist.

Alexander Papp: Es gibt nicht nur einen Typ des Samisdat, sondern meistens zwei. Der auf unserem Treffen vertretene Samisdat hält sich mehr oder minder an das Konzept einer üblichen Zeitung oder Zeitschrift. Aber es existieren vielerlei Ausgaben, die in kleinen, maschienengeschriebenen Auflagen von 20 bis 30 Exemplaren erscheinen. Das sind keine Periodika, das ist irgend etwas anderes. Läßt sich eine derartige Betätigung gesetzlich regeln?

Alexander Morosow: Ich möchte noch folgendes sagen: Wir stehen heute vor einer schwierigen Wahl. Einerseits bietet uns die offizielle Presse (das ist zu betonen) Kontakte an, aber wenn sich die Hoffnungen auf eine demokratische Umgestaltung nicht bewahrheiten, werden wir als ausgemachte Verräter dastehen. Die Machtorgane werden einige loyale Ausgaben halten und herausstellen, die radikaleren aber verfolgen. Kann das Gesetz eine solche Situation verhindern?

Gleb Pawlowski: Wir haben heute tatsächlich zwei Informationsräume: den Raum der offiziellen Presse und den der unabhängigen Ausgaben, die völlig getrennt dastehen und, wie man sagen muß, gleichermaßen einseitig und deshalb in hohem Maße unvollkommen sind. Wie ich es sehe, steht heute an erster Stelle der Aufbau einer einheitlichen Berufsgenossenschaft der Mitarbeiter der Massenmedien. Sie könnte die so dringend gebrauchte Reform der Konsolidierung sein. So ist man übrigens in Lettland vorgegangen, wo ein einheitlicher Berufsverband der Mitarbeiter der Massenmedien gebildet wurde, der die Rechte aller seiner Mitglieder offizieller wie nicht-offizieller - schützt, von ihnen aber auch die Einhaltung einer klar definierten Berufsethik verlangt.

Es ist leicht erkennbar, daß die hier anwesenden Vertreter der inoffiziellen Presse trotz ihrer unterschiedlichen Einstellungen zum Pressegesetz daran interessiert sind, ihre Arbeit zu legalisieren, und zwar natürlich mit demokratischen Gesetzen.

Heute sind mindestens drei Verhaltensweisen der Gesellschaft zur unabhängigen Presse zu beobachten. Neugier und Furcht („Ich kaufe das Blättchen und komme womöglich in den Knast.“) bei den Lesermassen, echter oder gespielter Gleichmut bei den Offiziellen, heftige Ablehnung bei manchem unserer Journalistenkollegen und der immerhin doch hinter ihnen stehenden Offiziellen. Das läßt sich nicht als für einen Rechtsstaat normal betrachten. Es führt dazu, daß offizielle und inoffizielle Ausgaben nicht nur differieren was ja ganz natürlich ist -, sondern auch gewissermaßen verschiedenen „Gewichtsklassen“ angehören.

Die Unabhängigen argwöhnen, ihre Konflikte mit den Machtorganen werden sich nicht durch das Gesetz bereinigen lassen. Dieser Nihilismus ist nicht ganz unbegründet: Etliche in jüngster Zeit verabschiedete Gesetze sind weit davon entfernt, als zuverlässiger Halt für die Durchsetzung der Rechte und Freiheiten spontaner Vereinigungen von Bürgern zu dienen. Aber selbst schlechte Gesetze, die die Gesellschaft in Formelle und Informelle trennen, wobei sie letztere gesetzlos machen, dürfen nicht den Grundsatz der Gesetzlichkeit selbst verdecken, wenn wir uns schon zum Aufbau eines Rechtsstaates entschlossen haben.

Die Hoffnungen und Bemühungen, ohne Gesetz auszukommen, in der Furcht, es werde undemokratisch sein, kann nur zumindest zwei negative Tendenzen provozieren. Erstens wird die unmittelbare Einmischung der Rechtsschutzorgane in die Arbeit der unabhängigen Presse verstärkt, wofür es bereits Beispiele gibt. Zweitens werden alle Vorzüge der aus der Stagnationszeit stammenden alten Informationsstrukturen bewahrt, die allein schon traditionsgemäß gesetzlich existieren und wunderbar ohne jegliche neuen Gesetze auskommen.

Sinnvoller wäre daher, die Gesetzgebung nicht zu verneinen, sondern sie mit demokratischen Grundsätzen auszustatten. Zusammengstellt vo

Jewgenija Alba

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