Die Grüne Perspektive ist noch nicht in Sicht

■ Auch nach zehn Jahren schwanken die Grünen noch zwischen Reform und Revolution / Eine praktische Alternative zu den verhaßten kleinen Schritten ist jedoch nicht in Sicht / Statt dessen beschleichen die Partei Ängste um die eigene Existenz

Saarbrücken (taz) - Vor zehn Jahren wurden in Saarbrücken die Grünen gegründet, vor den saarländischen Landtagswahlen hatte man sich an diesem Wochenende für drei Tage getroffen, um über die Perspektiven der Partei zu reden. „Was wollen die Grünen - was bringt Grün-rot hieß die Frage. Kurzfristig wurde die „November-Revolution“ in der DDR zum Programmschwerpunkt gemacht; auch dies macht deutlich, welch geringen Stellenwert Rot-grün derzeit hat. Die DDR -Entwicklung überlagerte in Saarbrücken alles; freilich auf der Ebene der Systemfrage.

Die Stimmung war gedämpft. „Uns fehlt eine Dosis der Aufbruchstimmung, die gegenwärtig in der DDR umgeht“, betonte Vorstandssprecher Ralf Fücks bei der Begrüßung und verhehlte nicht, daß er sich von den DDR-Vorgängen neue Schubkraft wünscht. Brutal sagte es die Vorstandssprecherin Verena Krieger: Die Partei ist „perspektivlos, farblos, substanzlos“. Für sie eine Folge der „Tabula rasa“ vor einem Jahr, als die radikale Linke im Parteivorstand abgesetzt wurde. Seitdem sei die Partei gefangen in der prokapitalistischen Wende. Die zur realpolitischen Strömung zählende Vorstandssprecherin Ruth Hammerbacher sieht die Situation der Grünen barmherziger: Die Partei „hinkt der realen Entwicklung hinterher, aber sie bewegt sich“. Schwere Zeiten für die Grünen erahnt auch Joschka Fischer: Bei den gesellschaftlichen Gefügeveränderungen durch die DDR -Vorgänge „könnten wir unter die Räder kommen“.

Aufbruchstimmung in eine grün-rote Zukunft zu erzeugen, wie es geplant war, fiel deshalb schwer. Ruth Hammerbacher appellierte, „aufzuhören mit den Debatten, die an der Wirklichkeit vorbeigehen“. Ralf Fücks, ein Wortführer des „grünen Aufbruchs“, beklagt, daß die Grünen überall nur Risiken sähen, und fordert die Partei auf, statt dessen das „Abenteuer praktischer Veränderungen“ zu suchen. „Flucht in den Status quo aus Angst vor der neuen Unübersichtlichkeit“. Das gelte für Realos, die gerade jetzt ihren Frieden mit der Nato machten, wie auch für die Linken, die die Klassiker konservierten.

Klares Kontrastprogramm dagegen bei der Vorstandssprecherin Verena Krieger. Wer den Sozialismus für tot erkläre, betrachte die Welt „durch die rosarote Yuppiebrille“, sagt sie. Die Grünen würden immer mehr zu einer „Partei der Mittelstandsinteressen„; Realo-Politik stärke langfristig gar die REPs. Die Grünen haben sich mit dem Perspektiven -Kongreß schwer getan; erst wurde er abgesetzt, dann nur verschoben, dann heftig um die Besetzung der Foren gestritten: Perspektiven zu formulieren fällt schwer. Die einen denken in Systemkategorien, die anderen in rechnerischen Möglichkeiten: Grüne müssen mitregieren, heißt es bei den Realos, die insgeheim die rot-gelb-grüne Mehrheitsmathematik strapazieren und sich vor einer großen Koalition fürchten.

Zur großen Abrechnung zwischen den Flügeln war das Forum „Ökologischer Kapitalismus“ ausersehen. Doch auch da kam es anders. Der Sozialismus sei endgültig gescheitert, die Menschheit könne nur innerhalb des Kapitalismus Überlebensstrategien konzipieren, formulierte Fischer die Grundlage für die Arbeitsgruppe. Gegen den „immanenten Selbstvernichtungsmechanismus“ des Kapitalismus helfe nicht die „radikale Phrase“, sondern der „radikale Pragmatismus“. „Hysterische Flucht in prokapitalistische Bündnisse“, um die eigene bequeme Lage zu rechtfertigen, wertete Jutta Ditfurth.

In der über fünfstündigen Debatte prallten die politischen Gegensätze aufeinander und doch schälte sich als Gemeimsames heraus, daß alles getan werden müsse, auch die unzureichenden, kleinen Schritte. „Wenn die Sau losgelassen ist, muß sie eingefangen werden“, rechtfertigt der Berliner Politologe Elmar Altvater den „Reparaturbetrieb“ am Kapitalismus. „Wenn das ideologische Geröll beseite geräumt ist“, konnte Fischer zum Schluß feststellen, seien „die Positionen gar nicht so weit auseinander“. Nicht die „radikale Zielsetzung“ solle aufgegeben werden, notwendig aber sei angesichts eines drohenden „ökologischen Gaus“ eine „Überlebensutopie“. Es sei die erste interessante Diskussion gewesen, kann jemand unwidersprochen sagen. Am Sonntag morgen aber sind die ideologischen Visiere wieder hochgezogen.

Gerd Nowakowski