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„...und dann schrieb ich an Kate Millett“

■ In Warschau gibt es seit kurzem einen offiziellen „feministischen Verein“. Wie schwierig die Arbeit der Frauen bislang war und wie sie sich durch die neue politische Situation verändert, schildern zwei Initiatorinnen in dem folgenden Interview

Maria Ciechomska und Slawka Walczewska sind Mitbegründerinnen der Frauengruppe „Polnischer feministischer Verein Warschau“. Maria Ciechomska studiert in Warschau Germanistik. Slawka Walczewska ist Doktorandin der Philosophie an der Universität Krakau.

taz: In Polen gab es bisher nur eine Frauenorganisation, die Frauenliga der Kommunistischen Partei. Ihr habt jetzt in Warschau zum ersten Mal offiziell einen feministischen Verein ins Leben gerufen. Wie ist es dazu gekommen?

Maria Ciechomska: 1980 gab es an der Warschauer Universität regelmäßige Treffen und Diskussionen im sogenannten Frauenforum. Aber nicht alle Frauen waren davon überzeugt, daß man auch so etwas wie eine feministische Frauenbewegung braucht. Viele waren zwar wie ich der Meinung, daß Frauen in Polen diskriminiert sind, aber man hatte angesichts der wirtschaftlichen Katastrophe wichtigere Dinge zu tun. Das Kriegsrecht setzte der Tätigkeit des Forums dann ein Ende. 1982 begannen einige vom Frauenforum, sich an der Uni wieder regelmäßig zu treffen. Wir haben zunächst nur diskutiert und zusammen Texte gelesen. Die Legalisierung unserer Gruppe war damals unmöglich. Aber auch die Tätigkeit im Untergrund kam nicht in Frage, denn auch die führenden Aktivisten der Opposition waren gegen den Feminismus allergisch. Die wollten mit uns nichts zu tun haben.

Was habt Ihr denn überhaupt machen können?

Maria Ciechomska: Es war ja alles privat, und deshalb mußte sich unsere Tätigkeit auf nur einige Aktionen beschränken. Die erste war 1986 die Organisation einer Frauenfilmretrospektive. Wir haben über 80 Filme von Frauen gezeigt und Diskussionen mit Filmemacherinnen veranstaltet, u.a. mit Helke Sander und Ulrike Oettinger. In Krakau haben wir zwei Jahre hintereinander im März jeweils kurz vor oder nach dem Internationalen Frauentag Seminare organisiert. Für uns ist der 8.März einer der verlogensten Feiertage, und unsere Veranstaltung konnte man als einen alternativen Frauentag verstehen. Es wurden Vorträge gehalten, zum Beispiel zu dem Thema: Warum gibt es in Polen keinen Feminismus? Außerdem gab es eine Filmkritik aus feministischer Sicht, andere Vorträge beschäftigten sich mit Medizin und Philosophie. Die nächste öffentliche Aktion im Frühjahr 1989 war sozusagen von der Wirklichkeit erzwungen. Sie richtete sich gegen den Versuch konservativer Kräfte, das liberale Abtreibungsgesetz zu kippen.

Wie groß ist Eure Gruppe?

Maria Ciechomska: Also am Anfang waren wir zu fünft, jetzt sind wir 20 Frauen. Wir sind fast alle Akademikerinnen von der Uni.

Wie konntet Ihr Euch über feministische Theorien informieren? War das nicht schwierig?

Slawka Walczewska: Zum ersten Mal las ich vor rund zehn Jahren etwas über Feminismus. Es war ein Bericht über eine Frauendemonstration in New York, in dem auch über Kate Millett geschrieben wurde. Der Artikel war sehr boshaft und machte sich über alles lustig. Aber ich merkte, daß doch etwas dran ist, und habe sofort an Kate Millett geschrieben. Als Antwort kamen dann Zeitschriften von irgendwelchen Frauen. Kate Millett hatte den Brief sicher nicht mal gelesen. Ich habe zunächst nur wenig vom Inhalt verstanden, weil in den Artikeln Wörter vorkamen, die ich nicht kannte, zum Beispiel Sexismus. Aber ich habe auf diese Weise Zugang zu dieser Sprache bekommen. Und dann wurde bei uns eine Anthologie feministischer Texte herausgegeben. Sie hat den Titel Niemand wird als Frau geboren und enthält Essays und Texte von prominenten Feministinnen aus dem Westen. Teresa Holowka, die Herausgeberin, ist Philosophin und gläubige Katholikin. Mit Feminismus hatte sie nichts zu tun, aber nach der Herausgabe des Buches ist sie auch Feministin geworden.

Was versteht Ihr unter Feminismus?

Maria Ciechomska: Für uns bedeutet Feminismus die Befreiung vom Zwang der verschiedenen Geschlechterrollen. Ich glaube, das Schlüsselwort für den Feminismus ist der Begriff Patriarchat. Das Patriarchat ist das, wogegen wir kämpfen. Wenn es um die Frauen geht, gibt es eigentlich nicht zwei gesellschaftliche Systeme, nicht Sozialismus und Kapitalismus, sondern eben ein Patriarchat. Das ist auf beiden Seiten sehr ähnlich.

Slawka Walczewska: Die Gesetze, die das öffentliche Leben in Polen regeln, geben den Frauen zwar die gleichen Rechte, aber die Privatsphäre wurde durch die Änderung des Systems überhaupt nicht berührt. Das hat natürlich Folgen im öffentlichen Leben. Wenn die Männer in der Familie immer die Hauptrolle spielen sollen, dann geben sie den Frauen auch im öffentlichen Leben keine Möglichkeit, leitende Positionen einzunehmen.

Maria Ciechomska: Man betont immer, daß die Frauen in der polnischen Gesellschaft besonders geachtet werden. In Wirklichkeit beschränkt sich diese Achtung auf verschiedene Höflichkeitsformeln, zum Beispiel daß ein Mann einer Frau in den Mantel hilft oder ihr die Tür aufmacht. Aber es wäre besser gewesen, ihr dabei nicht zu helfen. Sie kann das selber. Es wäre besser, wenn der Mann zu Hause mit anpacken würde.

Slawka Walczewska: Das Frauenideal, das auch die kommunistische Partei unterstützt, ist das Bild der sogenannten „Mutterpolin“. Es entstand zur Zeit der Teilung Polens im 19.Jahrhundert, als Männer verhaftet und nach Sibirien verschleppt wurden. Da mußte die Frau die Familie unterhalten, sich um die Erziehung der Kinder kümmern und ihnen die nationalen Werte beibringen. Diese Rolle wird noch heute allen Polinnen als Vorbild dargestellt. Man hat sogar ein Denkmal für die „Mutterpolin“ gebaut. Zunächst plante man ein ganz normales Denkmal, aber dann hat man sich für ein Frauenkrankenhaus entschieden, das als Denkmal verstanden werden soll. Es gab viele Witze, wie dieses Denkmal eigentlich hätte aussehen müssen: Es hätte nämlich eine zu früh gealterte Frau sein müssen, die durch die Arbeit total verbraucht ist, Krampfadern hat und große Einkaufstaschen trägt.

Welche Rolle spielt die polnische Frauenliga?

Slawka Walczewska: Die Frauenliga ist von den Kommunisten gegründet worden und unterstützt die kommunistische Regierung. Bisher ist sie die einzige Frauenorganisation in Polen, aber sie ist nicht repräsentativ. Ihre Einstellungen spiegeln nicht die Meinung der Frauen wider. Die Liga hält es für Emanzipation, den Frauen zu helfen, im Haushalt effektiver zu sein. Sie bietet Kochkurse an, gibt Tips und Ratschläge, damit die Frauen ihren Pflichten besser nachkommen. Die Pflichten selbst aber werden nicht in Frage gestellt.

Zurück zu Eurer Organisation. Wie wollt Ihr in Zukunft weiterarbeiten?

Maria Ciechomska: Wir haben uns jetzt registrieren lassen. Die veränderte politische Lage in Polen hat das möglich gemacht. Wir werden Aktivitäten entwickeln können, die bisher nicht möglich waren. Wir wollen eine eigene Zeitschrift herausgeben, gesetzliche Initiativanträge stellen und Kontakt zu Frauengruppen im Ausland aufnehmen. Auch mit den unabhängigen weiblichen Abgeordneten und Senatorinnen werden wir in Verbindung treten. Sie sind zwar nicht sehr zahlreich, aber manche von ihnen sind sehr bekannte und einflußreiche Persönlichkeiten. Wir hoffen auch sehr auf die Hilfe westlicher Feministinnen, auf ihre moralische Unterstützung und die Möglichkeit, unsere Erfahrungen auszutauschen.

Gespräch: Ingrid Oppermann

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