Wirtschaftsexperten spekulieren über DDR

■ In ihrem neuen Jahresgutachten betonen die „Fünf Weisen“ Auswirkungen auf die bundesdeutsche Konjunktur / Folgen lassen sich noch nicht abschätzen / Warnung vor Inflation und zu großen Lohnsteigerungen / Bruttosozialprodukt soll 1990 um drei Prozent wachsen

Bonn (ap/taz) - Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung hält eine tiefgreifende Änderung des wirtschaftlichen und politischen Systems der DDR für notwendig. Die sogenannten Fünf Weisen betonen in ihrem neuen Jahresgutachten, mit bloßen Kapitalhilfen und Technologietransfer sei den „tief im derzeitigen politischen und wirtschaftlichen System der DDR wurzelnden Mißständen und Unzulänglichkeiten“ nicht beizukommen. Erforderlich sei vielmehr ein Wandel im System.

Die Sachverständigen verzichteten allerdings auf konkrete Ratschläge. Sie betonten im Vorwort zu ihrem Gutachten, der Phantasie seien kaum Grenzen gesetzt, welche Aufgaben sich aus dem Wandel in der DDR für die bundesdeutsche Wirtschaft ergeben könnten. Diese ließen sich jetzt aber noch nicht abschätzen. Die Gutachter rechnen aber damit, daß die „dramatischen Ereignisse“ in der DDR größere Auswirkungen auf die wirtschaftliche Entwicklung in der Bundesrepublik haben können. So müßten die Übersiedler in den Arbeitsmarkt integriert und mit Wohnraum versorgt werden. Da aber niemand voraussagen könne, wie sich die Dinge weiter entwickelten, stehe ihre Prognose mehr als in früheren Jahren unter dem Vorbehalt späterer Korrekturen (siehe auch Kasten).

Ihre günstige Konjunktureinschätzung verbanden die Fünf Weisen mit Warnungen vor einer wieder zunehmenden Teuerung. Zwar sei der Preisanstieg bislang verhalten, doch könne dies trügerisch sein. Von der erwarteten Steigerung des Bruttosozialprodukts um drei Prozent im Jahre 1990 - nach vier Prozent in diesem Jahr - wird vor allem die Bauwirtschaft profitieren. Sie wird ihre Investitionen um zehn bis 15 Prozent ausweiten. Die Experten betonten aber, die Anzahl der neuen Wohnungen werde sich 1990 in Grenzen halten. Sie gehen davon aus, daß insgesamt etwa 280.000, bestenfalls 300.000 neue Wohnungen errichtet werden, 40.000 bis 60.000 mehr als in diesem Jahr.

Bei der Lohnentwicklung legten die Sachverständigen für 1990 Lohnerhöhungen von 5,5 Prozent zugrunde und betonten: „Wir verhehlen nicht, daß uns eine solche Entwicklung mit Sorgen erfüllt, vor allem wegen der Signalwirkungen, die davon ausgehen können.“ Die Fünf Weisen rechnen mit der Schaffung von knapp 400.000 zusätzlichen Arbeitsplätzen und mit 310.000 neu auf den Arbeitsmarkt drängenden Personen. Eine verläßliche Schätzung auch der zu erwartenden Arbeitslosenzahlen sei aber zur Zeit nicht möglich.

Die Nettolöhne und -gehälter je Beschäftigten sollen nach der Steuerreform um 7,5 Prozent steigen, ebenso die Unternehmergewinne und die Einkünften aus Vermögen.

diba