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„Ich war nie raus aus der Politik“

Alexander Dubcek (67), 1968 KP-Parteichef und Symbolfigur des Prager Frühlings, fordert einen gesellschaftlichen Dialog mit allen, die sich für Reformen einsetzen wollen  ■ I N T E R V I E W

taz: Wir haben uns zuletzt vor einem Jahr in Italien getroffen, als Sie die CSSR nach den Ereignissen von 1968 das erste Mal verlassen durften, um an der Universität von Bologna die Ehrendoktorwürde entgegenzunehmen. Seitdem hat sich einiges verändert, nicht?

Dubcek: (lacht) Das kann man wohl sagen!

Ich habe mit verschiedenen Freunden in Prag, Brünn und Olmütz telefoniert. Dort gab es überall Demonstrationen. Was war denn in Ihrem Wohnort Bratislava los?

Genauso wie in Prag oder in anderen Städten bis in die Ostslowakei hinein gab es hier in Bratislava große Demonstrationen, an denen außer vielen Studenten auch ältere Leute teilgenommen haben. Auch in Bratislava fielen in den Theatern die Vorstellungen aus. Wie in allen anderen Landesteilen wurde über die derzeitige politische Situation diskutiert. Ich kann aber wenig darüber sagen, weil ich nicht dabei war. Ich habe mit Jiri Hajek (dem Außenminister in der Ära Dubcek, d. Red.) telefoniert, der sich gerade ein Bild über die Lage verschafft hatte.

Wie sehen Sie eigentlich das, was passiert, ganz persönlich? Die Demonstranten rufen nach Freiheit, Rücktritt der Regierung und der Partei, nach Masarek (der 1936 verstorbenen nationalen Symbolfigur, d. Red.), nach Vaclav Havel und eben auch nach Alexander Dubcek.

Wir müssen jetzt eine große gesellschaftliche Diskussion führen über das, was in den letzten zwei Jahrzehnten erstickt und kaputtgemacht wurde. Das Vertrauen unserer Gesellschaft in menschliche Werte wurde gebrochen. Wir müssen erst einmal zurückfinden zu diesen menschlichen Werten. Die Demonstranten scheinen Vertrauen zu setzen in diejenigen, deren Namen sie skandieren. Zuallererst kommt es aber darauf an unter uns, zwischen allen Gruppen der Gesellschaft, einen öffentlichen Dialog zu führen. Wir müssen aber auch mit der Regierung und mit der Partei reden.

Will denn mit denen in der CSSR überhaupt noch jemand einen Dialog führen. Schließlich fiel der Führung anläßlich der Demonstration vom letzten Freitag nichts anderes ein, als mit militärischen Mitteln einzugreifen. Am Montag abend hat die Regierung den Polizeieinsatz sogar noch ausdrücklich legitimiert.

So ein Dialog wird wohl nicht mehr mit der bestehenden Parteiführung und der heutigen Regierung geführt werden können. In der Übergangszeit jedoch, nach einem Personalwechsel in der Führung, werden wir einen Dialog führen müssen.

Sehen Sie jetzt irgendwelche jüngeren Leute aus der Partei, mit denen die demokratische Bewegung der CSSR wirklich reden kann? Könnte Miroslav Stepan, der Parteichef von Prag, so ein Dialogpartner sein?

Bei diesen Partnern spielt nicht deren Alter die wichtigste Rolle. Es müssen Leute sein, die einsehen, daß dieses Regime am Ende ist. Es müssen Leute sein, die einsehen, daß eine grundlegende Änderung stattfinden muß und die diese Änderung auch wollen. Und mit denen muß man dann sprechen.

Es zeigen sich ja schon heute Risse im System. Vasil Mohorita, der Vorsitzende der Jugendorganisation der Partei, hat am Montag bei der Kundgebung in Prag gesprochen. Sie verlangt den Rücktritt der Regierung und die Einsetzung einer unabhängigen Kommission, um die Vorfälle vom Freitag zu untersuchen.

Dazu kann ich nichts sagen. Wichtig ist jetzt erst einmal, daß an allen Hochschulen gestreikt wird, daß überall in den Städten demonstriert wird, daß die Diskussion in den Fabriken losgeht.

Herr Dubcek, werden Sie in die Politik zurückkehren? Könnten Sie sich das jetzt vorstellen?

(lacht) Ich bin doch nie aus der Politik rausgegangen, ich wurde gewaltsam aus der Politik entfernt. Ich habe aber immer, so weit es ging, versucht, Politik von unten zu machen. So gesehen war ich immer dabei. Ich war damals 46 Jahre alt. Und auch heute fühle ich mich noch nicht zu alt, um etwas beizutragen.

Seit 1968 sind auch neue Bewegungen entstanden, so die Ökologiebewegung, die besonders in Bratislava aktiv ist und gegen das Wasserkraftwerk von Gabcikovo-Nagymaros mobilisiert. Im Osten und im Westen zerstören Menschen die Natur, die Grundlage ihrer Existenz. Wie stehen Sie zu den Umweltschützern?

Ich schätzte die Arbeit, die sie tun, sehr hoch ein. Die Problematik ist so schwerwiegend, daß dieses Thema sehr viele Menschen zusammenführen kann und muß, um den Umweltzerstörungen zu begegnen. Ich schätze auch die Umweltbewegung im Westen, in der Bundesrepublik, sehr hoch ein und auch die internationalen Initiativen der Grünen. Wir müssen stärker zusammenarbeiten, alle, die hochmotiviert sind, der Naturzerstörung den Kampf anzusagen.

Herr Dubcek, ich bedanke mich für das Gespräch und drücke Ihnen die Daumen, daß alles gutgeht.

Interview: Milan Horacek (43), Gründungsmitglied der Grünen, seit 1968 im Exil in der BRD

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