: Der Generalstreik ist umstritten
An den öffentlichen Protesten in Prag beteiligen sich überwiegend Jugendliche und StudentInnen / Sie werben bei den ArbeiterInnen für den angekündigten Generalstreik ■ Aus Prag S. Herre
Das Prager Leben hat sein Alltagsgesicht verloren. Prag ist zu einem riesigen Diskussionsforum geworden. Bereits in den frühen Vormittagsstunden drängen sich die Menschen um die Resolutionen, die in Straßenbahnen und Hauseingängen, an Schaufensterscheiben und Laternenpfählen hängen. Auf eilig gemalten Plakaten tauchen die Schlagworte der Massendemonstrationen dieser Tage auf: „Freie Wahlen“, „Demission der Regierung“, „Arbeiter, kämpft für eure Kinder“.
Am zahlreichsten sind die Aufschriften, die den Verzicht jeder Gewaltanwendung fordern. In den Metrostationen dokumentieren Fotographien das brutale Vorgehen der Polizisten gegen die StudentInnen am vergangenen Freitag. In der Beurteilung dieses Polizeieinsatzes, sind sich auch die unzähligen Gruppen einig, die am Wenzelsplatz über zukünftige Reformen diskutieren.
Geteilt sind dagegen die Meinungen über den zweistündigen Generalstreik, der am kommenden Montag ausgerufen werden soll. Viele äußern Zweifel, ob sich eine politisch wirkungsvolle Zahl von ArbeiterInnen beteiligen wird. Einige schrecken schon vor der Bedeutung des Begriffs Generalstreik zurück. Die UnterstützerInnen des Streikaufrufes sind der Ansicht, daß es nicht um den ökonomischen Verlust gehe, der mit dem Steik verbunden ist. Vielmehr solle gezeigt werden, daß die gesamte Nation sich in ihrer Unterstützung der DemonstrantInnen einig ist. Ein Passant, der meint, daß es besser sei, „Ruhe und Ordnung“ zu bewahren und dafür plädiert, der „bereits einsichtigen Regierung“ die notwendigen Reformen zu überlassen, erntet entrüstete Zwischenrufe. „Uns reicht's“, ist eine der am häufigsten skandierten Parolen dieser Tage.
Die Frage, wie die ArbeiterInnen sich am Montag verhalten werden, bewegt auch die StudentInnen der Fakultät für Fernsehen und Film. Denn je weiter man von Prag entfernt sei, um so geringer sei das Wissen über das, was dort passiere. Daher fahren die StudentInnen seit Tagen mit Informationsmaterial übers Land, um in den Betrieben ihre Forderungen zu diskutieren. Doch die DirektorInnen halten die Tore ihrer Betriebe meist geschlossen, und die ArbeiterInnen lassen sich von den StudentInnen, „die ja nur einige Tage freihaben wollen“, nicht überzeugen.
Deshalb hofft man in den Hochschulen auf die Hilfe von KünstlerInnen und SchauspielerInnen. Denn diese genießen in der CSSR traditionell ein hohes Ansehen - ein Mitglied des Nationaltheaters hat sich am Donnerstag bereits zu den Skoda -Werken in Mlada-Boleslav aufgemacht, um dort die Streikbewegung in Gang zu bringen. 164 Resolutionen verschiedener Organisationen liegen seit Dienstag abend zur Unterstützung des Streiks vor. Besonders wichtig ist die eines Bauunternehmens, das über 25.000 ArbeiterInnen landesweit beschäftigt. Auch die Bergarbeiter aus dem Revier aus Ostrava sympathisieren mit den StudentInnen.
Von all dem ist in der Parteizeitung 'Rude Pravo‘ wenig zu lesen. Ebenso wie Rundfunk und Fernsehen berichtet sie zwar über die Protestaktionen im ganzen Land, verschweigt jedoch die Rücktrittsforderung an die Adresse der gesamten Führung. „Vertiefung der Demokratie“ und „Dialog“ sind stattdessen die Schlagworte von 'Rude Pravo‘.
Weitaus objektiver berichten die Zeitungen der Blockparteien und des Sozialistischen Jugendverbandes „Svoboble‘ Slovo“, 'Lidova Demokracie‘ und 'Mlada Fronta‘, die bereits morgens um halb sieben ausverkauft sind. Dies verdanke sich jedoch, wie auf der Pressekonferenz des Bürgerforums bekannt wurde, nicht nur dem gesteigerten Interesse der LeserInnen. Vor allem würden seit der „Wende“ in der Berichterstattung Zeitungslieferungen verlorengehen. In einer mährischen Kleinstadt sollen Volksmilizen alle Nummern aufgekauft haben.
Daß der Zugang zu den Medien eine der Hauptforderungen der Opposition in ihrem Gespräch mit Ministerpräsident Adamec ist, unterstreicht, welche Bedeutung die Presse vier Tage vor dem Generalstreik erhalten hat.
Parteimiliz gegen
DemonstrantInnen
Prag( dpa) - Die Parteizeitung 'Rude Pravo‘ bestätigte am Donnerstag indirekt, daß noch am Vortag in Prag die Möglichkeit eines Großeinsatzes der bewaffneten „Parteimiliz“ gegen die anhaltenden Massendemonstrationen auf dem Wenzelsplatz bestand. Der Zeitung zufolge waren Einheiten der Miliz aus der Provinz nach Prag verlegt worden, um „Plünderungen zu verhindern“. Solche „Plünderungen“ hat es, wie Beobachter betonen, bisher in der CSSR nie gegeben. Auch bei den derzeitigen Demonstrationen haben sich die DemonstrantInnen gewaltfrei verhalten.
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