: ICH SUCHE DEN MANN...
■ “... der meinem Ideal Gestalt geben würde: Marianne Werefkin im Haus am Waldsee
Rot flammt die Tragik: Unbewegt in sich hineinhorchend verharrt eine Frau, die Arme verschränkt, in der linken unteren Bildecke. Rot leuchten ihr Rock und ihre Bluse, rot glühen die Felder rechts und links des Weges, den entlang sie bis in den Vordergrund gekommen ist. Der Widerschein der Farbe tönt noch ihr blickloses Gesicht. Nur die schwarzen Umrißlinien halten ihre Figur zusammen, damit sie sich nicht in der Umgebung auflöst und verliert. Am anderen Ende des Weges wartet vor einer rötlich infizierten Scheune klein eine schwarze Gestalt: sie lauert dort als unerbittlich ihr Recht fordernde Erscheinung. Schwarze Linien, die Wegränder markierend, visualisieren den Bogen der Spannung zwischen beiden, in einen Konflikt verwobenen Gestalten. Ausweglos verschließt den Bildhintergrund ein nachtblaues Gebirge.
„Tragische Stimmung“, 1910 von der russischen Malerin Marianne Werefkin gemalt, ist kompromißlos in der Beschränkung auf eine Farbe und in dem weitgehenden Verzicht auf Modellierung. Die Farbflächen befinden sich in einem zugleich körperlosen und energiegeladenen Rohzustand; nur die Umrißlinien, vibrierend gleich gespannten Nervensträngen, teilen sie voneinander ab und verweisen auf gegenständliche Bedeutung. Der Malduktus der breiten Pinselstriche gibt sich ungeglättet preis. Keine naturalistische Lichtquelle verleiht dieser symbolischen Landschaft ihr Leuchten: die Farbe glüht autonom.
Dem Geniekult verfallen
Die fleckenhafte Ausbreitung der Farbe Rot dominiert auch das Bild Biergarten: Der entflammte Waldboden, von dem sich die blattlosen schwarzen Baumstämme abheben, als wären sie aufgeklebt, ist im Bild hochgekippt wie eine Mauer. Orange und dunkelrot wogt das Meer der Tanzenden im Ballsaal, in dem nur dünne goldfarbene Konturen die Figuren umranden. Ins Nachtblaue taucht Werefkin den zugefrorenen See mit den dunklen Silhouetten der Schlittschuhläufer. Blau und blaugrün, wie in Wassertiefen abgestürzt, gestaltet sie das Portrait von vier Männern Im Cafe 1909. Deren müde und vedrossene Mimik ist mit dünnen metallischen Linien in die grünlichen Flecken der Gesichter eingezeichnet: herabhängende Mundwinkel, gesenkte Augenlider. Einfallslos starren sie vor sich auf den Tisch, die schweren Köpfe abgestützt. Das Dunkelblau ihrer Anzüge läßt sie wie Steine durch das Ultramarin des Hintergrundes auf das Blaugrün der Tischplatte sinken.
Daß karikierende Ironie, sonst selten in Werefkins Bildern, gerade beim Portrait der vier Denker, die eine bleierne Schwere zu nächtlicher Stunde an ihren Cafehaustisch fesselt, aufblitzt, ist sicher kein Zufall in dem Werk der russischen Malerin, die - lange dem Wahn vom ausschließlich männlichen Genie verfallen - sich selbst für 10 Jahre von der Kunst ausschloß. Erst 1906, sechsundvierzigjährig, begann sie nach langer Unterbrechung wieder, sich selbst in Farben auszudrücken.
Selbstverhinderung
Marianne Werefkin, 1860 in Tula geboren, wurde von ihren wohlhabenden Eltern, einem Kommandeur und einer Ikonen- und Portrait-Malerin, schon in ihrer Jugend in ihrer Kreativität gefördert. Ihre frühen Bilder, wie das Portait der Mutter von 1886, zeichneten sich durch einen realistischen Stil und eine Hell-Dunkel-Malerei aus, die ihr den Beinamen „russischer Rembrandt“ eintrug. Sie ging bei Ilja Repin und Michailowitsch Prjanischnikow, zwei anerkannten Vertretern eines sozial engagierten Realismus, in die Lehre und stritt sich mit ihnen über die Ziele der Malerei. Bei einem Jagdunfall 1888 durchschoß sie sich die rechte Hand; durch Zähigkeit und Training gelang es ihr, trotz der zurückbleibenden Lähmung zweier Finger, die Pinsel mit den übrigen Fingern zu fassen. Nach dieser erzwungenen Zäsur änderte sich ihr Stil: innere Erregung übertrug sie nun in schwung- und kraftvolle Pinselstriche. Doch blieb auch diese Phase ein Vorspiel nur für ihr persönliches Drama Jawlensky.
1891 lernte sie den vier Jahre jüngeren Maler Alexej Jawlensky an der Petersburger Akademie kennen und beschloß, sich ganz der Förderung seiner Begabung zu widmen. Gedrängt von Unzufriedenheit an den Grenzen des eigenen realistischen Stils, der Beschränkung auf die Wiedergabe, suchte sie nach Möglichkeiten der Projektion eines nicht sichtbaren Geisteslebens auf die Leinwand. Sich selbst als Frau schloß sie von der Fähigkeit der autonomen Schöpfung aus: „Ich bin Frau, bin bar jeder Schöpfung. Ich kann alles verstehen und kann nichts schaffen. ... Mir fehlen die Worte, um mein Ideal auszudrücken. Ich suche den Menschen, den Mann, der diesem Ideal Gestalt geben würde. Als Frau, verlangend nach demjenigen, der ihrer inneren Welt Ausdruck geben sollte, traf ich Jawlensky und beschäftigte mich mit ihm. ... Ich suchte die andere Hälfte meiner selbst.“ Marianne Werefkin, die nach dem Tode ihres Vaters über eine große Rente verfügte und materiell unabhänig war, zog 1896 mit Jawlensky nach München und gab ihre eigene Malerei auf.
Dienen und Opfern
Während sie selbst nicht malte, versuchte sie in Diskussionen - sie war Mittelpunkt in einem Salon, mehrfache Mitbegründerin von Künstlervereinigungen - und in Briefen, teilweise an den fiktiven Partner L'Inconnu, ihre Forderungen an die Kunst zu formulieren. Sie schrieb in einem angespannten und hymnischen Ton, getragen vom Sendungsbewußtsein einer Jeanne d'Arc. Sie setzte Jawlensky und, als dieser ihre Erwartungen nicht erfüllte, die Kunst allgemein auf einen hohen und unzugänglichen Sockel. Sie erschöpfte sich selbst in einem Gestus des Dienens und Opferns.
Marianne Werefkin vermochte den Widerspruch zwischen den männlich geprägten Vorstellungen des Genies und ihren eigenen differenten Erfahrungen nicht zu lösen und in eine Kritik am Geniebild umzuwerten. Lieber verdrängte sie sich selbst, als die Hierarchie zwischen Künstler und Normalmenschen anzutasten. Sie zementierte die Grenzen, an denen sie sich dann selbst wundstieß.
„Nur von dem Augenblick an, wo der Mensch sich befähigt fühlt, jeden Eindruck in sich selbst umzuwerten, jedes Erlebnis in seiner Seele neu zu gestalten, nur von diesem Augenblick an kann er als Individuum gelten. ... Das künstlerische Denken ist eine Deutung des Lebens in Farbe, Form und Musik und hat nur Wert, wenn es persönlich ist.“ Diese große Persönlichkeit vermochte sie sich lange nicht anders als männlich zu denken. Ihre Geschichte wird zu der einer exemplarischen weiblichen Selbstverhinderung.
„Was für ein Verbrechen habe ich mir selbst angetan!„ Als sie die Sinnlosigkeit ihrer Aufopferung erkennt, klagt sie sich selbst an, verurteilt ihr Mißtrauen in ihre eigenen Hände. Wiederum als religiöse Berufung statt als autonomen Entschluß stilisiert sie ihren Wiederbeginn und legitimiert ihn mittels göttlicher Weisung. „Meine Kunst, die ich aus Liebe und höchster Achtung niederlegte, kehrte größer denn je zu mir zurück. Wenn Gott mich ruft, so bringe ich ihm eine irrende Seele, berauscht von einem Traum, in welchem ich einen Strahl vom Thron des Ewigen sich auf die Erde verirren und alle Dinge durchdringen sah.„ Von der Lust an oder dem Recht auf die eigene Kreativität ist nie die Rede.
Als Meisterin der Verdrängung erwies sich Marianne Werefkin auch in ihren privaten Beziehungen zu Jawlensky. Geduldet zwar, aber immer hinter Scheinverwandtschaften verschleiert, blieb die langjährige Liebschaft zwischen Jawlensky und Helene Nesnakomoff, die als Kind in die Obhut der Werefkin gegeben wurde und fünfundzwanzig Jahre lang in ihren Diensten stand. 1901 bekam Helene einen Sohn von Jawlensky; für ihn und Werefkin saß sie Modell, arbeitete als Dienstmädchen, Geliebte und Köchin. Da die Produkte ihrer Produktivität verspeist wurden und nicht als bleibende Werte in die Kunstgeschichte eingingen, konnte sie aus ihrer schattenhaften Rolle nicht entkommen.
1914 emigirierte die russische Gruppe in die Schweiz; 1918 ließen sie sich in Ascona, nahe der Künstlerkolonie Monte Verita, nieder. Werefkins Rente, von der sie den gemeinsamen Lebensunterhalt bestritt, wurde nach der russischen Oktoberrevolution 1917 nicht mehr weitergezahlt. Jawlensky verließ sie 1921, nachdem er die junge deutsche Malerin Emmy Scheyer als neue Verkünderin und Managerin seiner Kunst gefunden hatte, und heiratete ein Jahr später endlich Helene. 1938 starb Marianne Werefkin in Ascona.
Geschwärzter Jawlensky
Die „Monte Verita S.A.„-Gesellschaft widmete ihr 1988 die erste umfassende Retrospektive, die nach Ascona, München und Hannover nun auch in Berlin präsentiert wird. Bernd Fäthke, Autor des Katalogs und Begründer eines Werefkin-Archivs, arbeitet ihre Stellung als „Wegbereiterin der Moderne“ heraus. In ihrem Bemühen um die Bildung Jawlenskys vermittelte die Werefkin die Malerei von van Gogh, Gauguin, den Nabis und den Fauves ihrem Münchner Freundeskreis, zu dem Gabriele Münter, Kandinsky und Franz Marc gehörten. Sowohl durch ihre Theorien als auch durch ihre eigene Malerei wird sie zum Missing Link zwischen der französischen und der deutschen Moderne. Ihre Betonung der Priorität der Farbe, der Unterordnung der Form und der Eigenständigkeit der Linien bereitete die Ablösung vom Impressionismus vor. In ihren eigenen Bildern rezipierte sie die expressive und suggestive Dynamik von Munch. Ihre Auffassung vom Licht als Funktion der Farbe und vom Bild als Fläche erlaubte auf Schatten und räumliche Illusionen zu verzichten. In ihrer Sehnsucht nach der Gestaltung des nicht Sichtbaren bereitete sie ein malerisches Programm vor, das erst von der abstrakten Malerei eingelöst wurde.
Fäthke hat in seine stilkundliche Expedition durch die künstlerische Entwicklung des Werefkin-Kreises viele Bilder Jawlenskys einbezogen. Doch paßte diese Interpretation seiner Leistungen offensichtlich nicht den Jawlensky -Erbinnen, die die Rechte an den Bildern besitzen. Auf ihr Verlangen hin mußten die 35 vergleichenden Abbildungen von Jawlensky im Katalog eingeschwärzt werden. Dies entbehrt nicht der Ironie: so müssen seine Werke endlich einmal die Position, unkenntlich im Hintergrund zu bleiben, einnehmen.
Mission Moderne
Fäthke interessiert Werefkins Geschichte der Selbstverleugnung in ihrer Beispielhaftigkeit für den ideologisch erschwerten Zugang der Frauen zur Kunst nicht. Kritiklos wird ihr Elite- und Genie-Kult, mit dem sie sich fast den eigenen Farbstrom abgegraben hätte, akzeptiert. Ihr langes Vergessensein als Produkt einer die Frauen unterschlagenden Kunstgeschichtsschreibung berührt ihn kaum; wohl aber die Lücken, die durch ihre Vernachlässigung in die Geschichte des Expressionismus gerissen wurden. Er begründet ihre späte Wiederentdeckung allein durch Versäumnisse der Quellenforschung. In seinem Eifer, ihre Fortschrittlichkeit zu beweisen, betreibt er Bildananlyse hauptsächlich unter dem Aspekt des unendlichen Ratespiels „Wer beeinflußte wen?“ und findet nicht mehr zu einer inhaltlichen Auseinandersetzung mit Werefkins Werk.
Die lange Unterbrechung ihrer bildnerischen Kreativität diente der Werefkin glücklicherweise auch als Inkubations -Zeit, in der sie ihre theoretischen Forderungen nach dem Ausdruck inneren Erlebens trocken, ohne Experimente, verarbeitete. In ihren ersten surreal visionären Skizzen von 1906, eine Frau, der gespenstische Männerhände zuprosten und eine Frau am Kreuz, begreift sie ihre Geschichte als Leidensweg: sie, die in der Gesellschaft Gefeierte, litt zugleich an Einsamkeit. In der Kunst sucht sie die Mittel der Erlösung. In Opposition zu der traditionellen feinpinseligen Ölmalerei benutzt sie Temperafarben, die sich weniger mischen und abstufen lassen. Zwischen einem nächtlichen Blau und feurigen Rot- und Orange-Tönen entfaltet sie ihre dramatische Farbskala, mit der sie oft leuchtende Effekte, ähnlich der Hinterglasmalerei, hervorbringt. Mit Bunt- und Bleistiften zeichnet sie Details in die gemalten Flächen hinein. Ihre Mittel der Gestaltung bleiben offensichtlich.
In der Schweiz und Ascona wählt die Malerin immer wieder die Naturkulisse der Berge und Seen zum Schauplatz ihres dramatischen Symbolismus, den folkloristische Elemente durchziehen, ihre tobenden Landschaften nähern sich einer naiven Illustration biblischen Donnergrollens. Ihre Sehnsucht, die unsichtbaren Kräfte zu gestalten, bleibt Motor und nie befriedigte Forderung.
„Daß Kinder, einfache Menschen, meine Bilder mehr lieben und begreifen als falsch geschulte, ist mir eine Freude. Für die einfachen sind ja meine Bilder bestimmt.„ Sie, die lange das Genie verkünden und der Masse erläutern wollte, die nur anderen Künstlern zutraute, schöpferische Leistungen zu erkennen, war nun in ihrer Isolation froh, im ungeschulten Publikum Bestätigung zu finden.
Katrin Bettina Müller
Alle Zitate stammen aus dem Katalog „Marianne Werefkin Leben und Werk“ von Bernd Fäthke, München 1988. Bernd Fäthke gibt als Quelle stets das Werefkin-Archiv an, das er mit seiner Frau aufbaut, leider meistens ohne die Zitate aus ihren Briefen und Schriften zu datieren. Die Ausstellung „Marianne Werefkin“ ist bis 14. Januar 1990 im Haus am Waldsee zu Gast.
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