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Nicht wiedergutzumachendes Unrecht

■ Berliner Bezirksverband des DDR-Schriftstellerverbandes nimmt 1979 ausgeschlossene Mitglieder wieder auf / Einer der Hauptakteure damals wie heute: Hermann Kant / Verbotene Filme wiederaufgeführt

Berlin (taz) - Nach heftiger Debatte hat der Berliner Bezirksverband des Schriftstellerverbandes am Donnerstag neun Mitglieder wiederaufgenommen, die 1979 vom Verband ausgeschlossen worden waren. Außerdem verabschiedete der Verband zwei Resolutionen zur Lage in der CSSR und in Rumänien und eine Solidaritätserklärung für jene Theaterschaffenden, die die Demonstration am 4.11. organisiert hatten und die jetzt deshalb massiv unter Druck geraten sind. In dem Beschluß zur Wiederaufnahme der Ausgeschlossenen, der bei drei Gegenstimmen und drei Enthaltungen gefaßt wurde, heißt es: „Der am 7.Juni 1979 erfolgte Ausschluß der Mitglieder Kurt Bartsch, Adolf Endler, Stefan Heym, Karl-Heinz Jakobs, Klaus Poche, Klaus Schlesinger, Rolf Schneider, Dieter Schubert und Joachim Seyppel sowie dessen Folgen für andere Kollegen war nicht wiedergutzumachendes Unrecht, für das wir um Entschuldigung bitten.“ Der Berliner Vorstand hatte ursprünglich beabsichtigt, die Annullierung des Ausschlusses auf dem Verwaltungsweg vorzunehmen. Erst der Protest einzelner SchriftstellerInnen gegen dieses Verfahren hatte dazu geführt, daß die Vollversammlung sich damit befaßte. Die ehemals Ausgeschlossenen waren nicht anwesend. Dem Beschluß ging eine Diskussion voraus, an der sich u.a. Christa Wolf, Ulrich Plenzdorf und Hermann Kant beteiligten. Gestritten wurde vor allem um eine Formulierung, die das, was den Ausgeschlossenen widerfahren ist, als „unentschuldbares Unrecht“ bezeichnete. Dagegen wehrte sich u.a. der damalige und heutige Vorsitzende des Schriftstellerverbandes, Hermann Kant, der in der Debatte einen schweren Stand hatte. Kant bekannte sich zu seiner Verantwortung, argumentierte aber, wenn man diese Formulierung wähle, dann müsse man die ganze Sache noch einmal aufrollen und die jeweiligen Verantwortlichkeiten klären. So wurde schließlich von „nicht wiedergutzumachendem Unrecht“ gesprochen, zugleich aber gefordert, den damaligen Gang der Dinge weiter aufzuhellen.

Zur Vorgeschichte: Im Zuge einer repressiveren Kulturpolitik, die durch die Biermann-Ausbürgerung eingeleitet worden war, war die SED 1979 auf einen neuen Dreh verfallen, um Autoren unter Druck zu setzen, die in der DDR nicht publizieren konnten und deshalb auf westliche Verlage auswichen. Exemplarisch wurde gegen Stefan Heym ein Verfahren „wegen Verstoßes gegen das Devisengesetz“ eröffnet: Er habe für die Veröffentlichung seines Collin in der BRD keine Erlaubnis des „Büros für Urheberrechte“ (die er nie erhalten hätte) eingeholt. Darauf wandten sich am 16.5.79 acht Schriftsteller in einem Schreiben an Honecker und erklärten, „mit wachsender Sorge verfolgen wir die Entwicklung der Kulturpolitik. Immer häufiger wird versucht, engagierte, kritische Schriftsteller zu diffamieren, mundtot zu machen oder, wie unseren Kollegen Stefan Heym, strafrechtlich zu verfolgen.“ Heym wurde dennoch am 22.5. zu 9.000 Mark Strafe verurteilt. Am gleichen Tag erschien im 'Neuen Deutschland‘ eine Ergebenheitsadresse des Schriftstellers Dieter Noll an Honecker. Er mokierte sich über „einige wenige kaputte Typen wie die Heym, Seyppel oder Schneider, die so emsig mit dem Klassenfeind kooperieren...“ Eine Woche später tagte der Vorstand des Schriftstellerverbandes. In einem Grundsatzreferat behauptete Kant, eine Notwendigkeit im Westen zu publizieren gebe es nicht, denn: „Es liegt im Wesen unserer Gesellschaft, daß einem vernünftig vorgebrachten Verlangen vernünftige Antwort gegeben wird. (...) Die Diffamierung, finde ich, ist allenfalls bei denen, die unserer Kulturpolitik solche Tendenz andichten.“ Der Vorstand beschloß, den Bezirksverband zu beauftragen, mit den Unterzeichnern des Protestschreibens „eine prinzipielle Auseinandersetzung“ zu führen. Gemeint war der Ausschluß. Der wurde auf einer Verbandssitzung am 7.6.79 exekutiert. Begründung: Diese Schriftsteller seien der Mitgliedschaft „unwürdig“. Die Folge war insbesondere, daß die Betreffenden fast alle - bis vor kurzem - in der DDR Publikationsverbot hatten und wieder einige Talente in den Westen abwanderten.

Zwei DDR-Spielfilme, die über 20 Jahre lang verboten waren, sind am Donnerstag in Ost-Berlin zum erstenmal der Öffentlichkeit vorgestellt worden. Spur der Steine von Frank Beyer und Das Kaninchen bin ich von Kurt Maetzig, gehören zu einer Reihe von Spiel-, Dokumentar- und Kurzfilmen, die 1965 verboten worden waren und die jetzt in die Kinos und in das DDR-Fernsehen kommen sollen.

Walter Süß Siehe auch Seite 8

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