: Hier kann jede/r selber denken
■ oder offener Brief an die Herrschaften
oder offener Brief an die Herrschaften
Das aber sollt ihr bedenken: Wenn der Hausherr wüßte, zu welcher Stunde der Nacht der Dieb kommt, würde er wachen und nicht einbrechen lassen in sein Haus. (Mattäus 24,44)
Wir sind „begeistert“, daß unsere Bonzen und PolitikerInnen diesen falschen SozialistInnen für „so wenig“ Empfangsgeld den Schneid abkaufen, darüber daß sich unsere PolitikerInnen und Bonzen mit unseren Steuergeldern Zutritt und später privaten Besitz in der DDR aneignen. Wir „freuen“ uns über die sublimen Unterdrückungsmechanismen des Kapitalismus, darüber daß von unseren Banken für 100 Ostmark jetzt nur noch fünf DM gezahlt werden und die damit folgenden SchwarzarbeiterInnen aus dem Osten, den allgemeinen Lohnverfall und Niedergang der westlichen Gewerkschaften. Wir „beglückwünschen“ die zehn Wirtschaftsimperien, die ab 1992 alle ArbeitnehmerInnen zwischen Atlantikküste und Uralgebirge werden gegeneinander ausspielen und ausbeuten können. Mit „unseren“ Medien sind wir „West-Großdeutschen -ArbeitnehmerInnen“ „begeistert“ von der absolut positiven und einseitigen Öffnung der Mauer, den zusammengebrochenen Verkehrs- und Postverbindungen.
Von „unseren Medien“ geschürt, „jubeln“ wir dem Aus- und Einkauf der DDR zu. Wir lassen uns „gerne“ vor den falschen Karren spannen, bieten kostenlos - steuerlich absetzbare Übernachtungsmöglichkeiten (nicht für Westberliner Obdachlose und AsylbewerberInnen) an. Wir arbeiten „freiwillig“ länger für „unsere Landsleute“ - denen wir 1953 nicht zu Hilfe kamen und die den Unterdreißigjährigen als „böse Ostblock-Sozialisten und Ausland“ gelehrt wurden. Nun, da sich das Kapital etwas aneignen möchte, müssen „die VerkäuferInnen“ „Landsleute“ und „billig“ werden. 100 Ostmark gleich fünf Mark West und das bei steigenden Bananenpreisen auf dem Schwarzmarkt: Ist das die Stunde der Nacht und ist der Dieb schon gekommen?
Wir lassen uns „gerne“ vor den falschen Karren spannen, „jubeln“ über die ausverkauften und vor der ständigen Preiserhöhung stehenden Geschäfte, „jubeln“ über die allgemeine Verschlechterung unserer Lebensbedingungen. Wir sind davon so „begeistert“, daß wir brav und schweigend in Kaufhausschlangen anstehen, uns in überfüllte U-Bahnwagen drücken - damit die Straßen frei bleiben für die freien BürgerInnen, die Bosse mit Mercedes. Im Westen hat die Diktatur schon längst begonnen - wir schweigen jubelnd zugunsten der bald folgenden Herrschaft westlicher Bonzen über den Osten. Der Müggelsee wird privatisiert und eingezäunt mit Villen umbaut: dafür steigen die Mieten im Wedding und am Prenzlauer Berg.
Wann werden wir BundesbürgerInnen politisch endlich mündig? Wann die DDR sozialistisch? „Friede den Hütten! Krieg den Palästen!“
Mattäus Korn
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