piwik no script img

UdSSR und Polen: Fortschritte

Ministerpräsident und Solidarnosc-Mann Mazowiecki in Moskau / Gorbatschow unterstützt polnische Reformen / Polen fordert Aufklärung des „weißen Flecks“ Katyn / Wirtschaftshilfe offen  ■  Aus Warschau Klaus Bachmann

Gleich zweimal beging der Reporter des sowjetischen Fernsehens den Ausrutscher, den sowjetischen Zuschauern den Staatsgast als „Genosse Mazowiecki“ vorzustellen. Daß aus Warschau ein Premier anreist, der kein Genosse ist, daran mußten sich die sowjetischen Gastgeber erst noch gewöhnen. Ansonsten gab es kaum Probleme: Die sowjetische Seite hatte keine Einwände, daß der Katholik Mazowiecki an einer Gedenkmesse in Katyn für die dort ermordeten über 4.000 polnischen Offiziere teilnahm. Auf dem Denkmal steht noch immer die Jahreszahl 1941, gleichbedeutend mit der Schuldzuweisung an die deutsche Wehrmacht, den Massenmord begangen zu haben. Mazowiecki stellte die Aufschrift nicht in Frage, erklärte aber im sowjetischen Fernsehen, die gemeinsame Historikerkommission, die das Verbrechen aufklären soll, müsse endlich zu einem Schluß kommen. In einem Fernsehfilm ließ dann die Sowjetunion zum ersten Mal offen, ob die Offiziere nicht schon 1940 von Stalins Geheimdienst ermordet wurden.

Nicht nur die sowjetische Vergangenheitsbewältigung stand an: Marcin Swiecicki, einziger PVAP-Minister, der mitgekommen war, wollte vor allem Zusagen über eine Erhöhung der sowjetischen Rohstofflieferungen und einen möglichen Schuldenerlaß. Polen, wo zur Zeit bereits Buslinien wegen Benzinmangels eingestellt werden, kann auch die UdSSR nicht helfen, da ihre Dieselproduktion, mit der Polen fast seinen gesamten Bedarf deckt, zurückgegangen ist.

Der Besuch wird in Polen im Grunde schon durch sein Zustandekommen als Fortschritt betrachtet, beweist er doch, daß die Sowjetunion Polens innenpolitische Souveränität voll respektiert. Während Mazowiecki klar und eindeutig erklärte, Polen werde seine Bündnisverpflichtungen innerhalb des Warschauer Pakts voll erfüllen, machte Gorbatschow deutlich, die UdSSR wünsche einen Erfolg der polnischen Reformpolitik.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen