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Millionen streikten für eine neue CSSR

■ Ein zweistündiger Generalstreik unterstrich die immer drängenderen Forderungen nach Demokratie / Dubcek spricht von „zweitem Prager Frühling“ / KP beschließt Sonderparteitag für Januar und löst Rest der alten Garde im Politbüro ab / Heute wieder Treffen zwischen Regierung und Opposition

Prag (afp) - Mehrere Millionen Menschen haben gestern pünktlich um 12.00 Uhr mittags die Arbeit niedergelegt, um mit einem Generalstreik den Forderungen nach demokratischen Reformen Ausdruck zu verleihen. In zahlreichen Städten des Landes zogen die Streikenden zu Demonstrationen auf die Straßen (siehe Reportagen Seite 3). Die Kommunistische Partei hatte am Vorabend, beim zweiten Sonderplenum des Zentralkomitees, die letzten Vertreter der orthodoxen Parteilinie aus dem Politbüro entfernt. Damit scheinen die Voraussetzungen für einen Dialog zwischen Regierung und Opposition, der heute fortgesetzt werden soll, besser denn je. Der frühere KP-Chef und Symbolfigur der Reformbewegung von 1968 Alexander Dubcek sprach in der kommunistischen Jugendzeitung 'Mlada Fronta‘ von einem zweiten „Prager Frühling“.

Auf der Sondersitzung des ZK wurden nach der massiven Umgestaltung vom Freitag drei weitere Vertreter der bisherigen Führung aus dem Politbüro entfernt, unter ihnen der Prager KP-Chef Miroslav Stepan, der für den brutalen Polizeieinsatz gegen Demonstranten am 17.November verantwortlich war. Auch der Gewerkschaftsvorsitzende Miroslav Zavadil und der als Repräsentant der „Säuberung“ nach 1968 geltende Josef Lennart wurden entlassen. Sieben Personen wurden neu gewählt, darunter der Vorsitzende des Sozialistischen Jugendverbandes SSM, Vasil Mahorita, und der ehemalige slowakische Kulturminister Miroslav Valek. Keiner der jetzt dreizehn Politbüromitglieder hat etwas mit der Säuberung nach der Niederschlagung des Prager Frühlings zu tun. Das Zentralkomitee, in dem die alte KP-Führung immer noch über eine starke Position verfügt, soll von einem Sonderparteitag am 26.Januar neugewählt werden.

Ministerpräsident Ladislav Adamec gehört dem Politbüro bereits sei Freitag nicht mehr an. Dies könnte ihm mehr Freiraum für Kontakte mit der Opposition lassen und symbolisiert eine Trennung zwischen Führungspositionen von Partei und Staat. Heute treffen sich Regierung und Opposition erneut. Das „Bürgerforum“ hat dazu im Vorfeld am Sonntag abend ein Positionspapier vorgelegt, in dem es freie Wahlen fordert.

Auch die Blockparteien der CSSR nabeln sich von der KP ab. Die Sozialistische Partei stellt in der Parteizeitung 'Svobodne slovo‘ dem „Bürgerforum“ Raum zur Verfügung. Der Vorsitzende der katholisch orientierten Tschechoslowakischen Volkspartei, Zbynek Zalman, ist am Sonntag zusammen mit dem Präsidium und dem Zentralkomitee seiner Partei zurückgetreten. Unser Tagesthema Seiten 2 und 3

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