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Alternativmodell ist eine Illusion

■ Karsten Voigt, außenpolitischer Sprecher der SPD, zur Vision der Linken in der deutschen Frage

Das Ziel einer solidarischen Gesellschaft, „in der Frieden und soziale Gerechtigkeit, Freiheit des einzelnen, Freizügigkeit aller und die Bewahrung der Umwelt gewährleistet sind“, trennt nicht, sondern vereint die demokratische Linke in beiden deutschen Staaten. Es verbindet sie aber auch mit Zielen der demokratischen Linken in anderen Staaten Europas und der Welt. Wer internationale Solidarität ernst mein, muß die demokratischen Linken in jedem Staat, aber auch in der DDR, bei der Verwirklichung dieser Ziele unterstützen.

Meine Erfahrungen und Einsichten lehren mich, daß ein demokratischer Sozialismus im Rahmen eines einzelnen Staates sich nicht verwirklichen läßt. Kein Staat dieser Welt kann sich auf Dauer ohne Schaden für Freiheit, Wohlfahrt und Umwelt von der Weltgemeinschaft isolieren. Das gilt für die Bundesrepublik, aber dies gilt erst recht für die DDR.

Die abrüstungspolitischen, umweltpolitischen und die wirtschaftlichen Probleme der DDR erfordern eine immer enger werdende Zusammenarbeit mit ihren europäischen Nachbarn, und das heißt insbesondere auch mit der Bundesrepublik. Die wirtschaftlichen und umweltpolitischen Probleme der DDR sind unvergleichlich größer als die der Bundesrepublik. Ich bewundere und unterstütze diejenigen, die unter diesen Umständen glauben, ein attraktives demokratisch -sozialistisches Alternativmodell zur Bundesrepublik verwirklichen zu können. Ich halte diese Hoffnung aber unter den gegebenen politischen und wirtschaftlichen Voraussetzungen für eine Illusion.

Für viel realistischer halte ich es, daß die demokratische Linke im Prozeß des Zusammenwachsens der beiden deutschen Staaten sowohl in der DDR als auch in der Bundesrepublik an Boden gewinnen könnte, wenn sie ihn mit abrüstungspolitischen, umweltpolitischen, wirtschaftsdemokratischen und sozialstaatlichen Initiativen verknüpft.

Wer die bisherige Form der Zweistaatlichkeit zum Dogma erhebt, geht nicht nur an dem legitimen Bedürfnis nach einer wachsenden Gemeinsamkeit der Deutschen vorbei. Er wird auch die konkrete Lösung der konkreten Bedürfnisse schwerer erreichen können als diejenigen, die für eine wachsende Zusammenarbeit der beiden deutschen Staaten eintreten. Deshalb bin ich für eine Vertragsgemeinschaft und eine Konföderation der beiden deutschen Staaten.

Eine bundesstaatliche Einheit der Deutschen wird erst möglich, wenn Nato und Warschauer Vertrag im Rahmen einer europäischen Friedensordnung überwunden worden sind. Das wird noch dauern. Aber ich sehe auch nicht, wann das Ziel der Überwindung der Bedürfnisse gerade von der demokratischen Linken infrage gestellt werden sollte.

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