: Zyklopenauge der Fotografie
■ Joel Peter Witkin im Fotoforum Fedelhören / Körperfragmente und der Charme des Abnormen
Abgerissene Köpfe. Ein Arm. Glieder. Menschenkörper, verrenkt und an ein Kreuz genagelt. Entstellungen. Ein Hund, aus dessen weit geöffnetem Bauch frisches Gemüse quillt, intakt und unverdaut. Ein Füllhorn. Fragmente, Überreste vergangenen Lebens. Ein Szenario wie auf einem Schrotthaufen für Lebendiges.
Freaks bevölkern diese geheimnisvolle Welt. Hermaphroditen mit großen Brüsten, weiblichen Körperkonturen und einem Schwanz zwischen den Beinen. Es gibt keine Schönheit der Normalität, selbst Botticellis Venus muß als Hermaphrodit noch einmal geboren werden. Gestalten
aus dem Bilderlexikon des Alptraums, abnorme Körper, Beschädigungen immer wieder, Körperteile als Bausteine einer beängstigenden, surrealen Welt.
Der 1939 in Brooklyn, New York, geborene Joel Peter Witkin verarbeitet in seinen obsessiven fotografischen Tafelgemälden traumatische Erlebnisse seiner Kindheit und Jugend. Geschädigt war er von vornherein durch den orthodox -jüdischen Vater und die streng-katholische Mutter, die mit der Wucht gleich zweier re
pressiver Dogmatiken und deren schizophrenisierender Widersprüche seinen Zugriff auf die Welt erschwerten.
Eines Sonntagsmorgens, als
die Mutter den gerade fünfjährigen in die Kirche schleppte, wurde er Zeuge eines Autounfalls, bei dem ihm der Kopf eines Mädchens direkt vor die Füße rollte. Ein Bild, das ihn nie mehr verließ. Jahre später, siebzehnjährig, hatte er sein erstes sexuelles Erlebnis mit einem Hermaphroditen aus einer Freak-Show: noch so ein Bild.
Wie zwanghaft versucht Witkin in seiner Fotografie die Bilder seiner Besessenheiten zu wiederholen, sie in der Reproduktion und fotografischen Verarbeitung zu enttraumatisieren. Ein kathartisches Verfahren, ähnlich dem psychoanalytischen Gedanken. Sorgfältig inszeniert er seine Bilder, fertigt zuallererst eine Skizze an, der er die abzufotografierende Wirklichkeit nachbildet. Inszenierung, Ablichtung, ein fertiges Negativ und sein kreativer Prozeß ist noch lange nicht abgeschlossen. Von den Negativen macht er Kontaktabzüge, vergleicht mit den vorgefertigten Skizzen und zieht sich zurück. Nun beginnt sein eigentlicher Schaffensprozeß, er zeichnet auf dem Negativ, bearbeitet es, kratzt, malt, ätzt, damit „Züge der physischen Wirklichkeit, die er nicht dargestellt haben will“, verändert werden. Auch den Positiv-Abzug bearbeitet er mit sorgfältig gewählten Methoden, manisch-mechanischen, wie chemischen.
Damit entfernen sich Witkins Fotografien von der unerbittlichen Konturenschärfe, die die Fotografie der Malerei entgegenhielt. Hier wird nicht behauptet, daß das Abgebildete physische Realität ist, die Fotografie wandelt sich vom journalistischen
Medium zur Erzeugung künstlicher Wirklichkeiten. Seine Bilder sind Gemälde wie sie Fotografien sind. Und daß das keine Spielerei ist, das spürt jede, die sich auf die Witkinschen Szenarien einläßt. Ein unbehagliches Gefühl im Magen mischt sich mit Faszination, mit dem Wissen darum, daß in Witkins Themen, in seiner Besessenheit für die Verletzlichkeit des Lebendigen, für die Würde des Unnormalen und Beschädigten, sich verdrängte Ängste und Wünsche spiegeln, die wir alle teilen.
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Zur Ausstellungseröffnung zeigt das Tanztheater des Bremer Theaters Szenen aus „Macbeth“.
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