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Gorbatschow warnt Kohl

■ Grundsatzrede in Rom: Vorsicht vor jeder Destabilisierung in Europa / SPD relativiert Zustimmung zu Kohls Förderationsplan / Baker will Nato-Deutschland

Rom/Bonn (dpa/taz) - Der sowjetische Staats- und Parteichef Michail Gorbatschow hat ohne die Bundesregierung und Kanzler Kohl zu erwähnen nachdrücklich vor jeder Destabilisierung in Europa und der „Verfolgung egoistischer Ziele“ gewarnt. „Es darf nicht zugelassen werden, daß plumpes Verhalten oder provokative Erklärungen dem derzeitigen epochalen Wandel einen Schaden zufügen“, sagte Gorbatschow gestern abend im Kapitolspalast in Rom. Er schlug zudem eine Vorverlegung des für 1992 vorgesehenen europäischen Gipfeltrefffens „Helsinki II“ für 1990 vor.

Bereits am Mittwoch hatte sein Außenminister Schewardnadse zur deutschen Wiedervereinigung Stellung genommen. Er halte konföderative Strukturen zwischen den beiden deutschen Staaten für denkbar, sagte Schewardnadse, nicht aber einen Bundesstaat. In einem Gespräch mit seinem italienischen Amtskollegen Gianni de Michelis hatte Schewardnadse hinzugefügt, falls die Wiederherstellung Deutschlands in den Grenzen von 1937 als Ziel fallengelassen werde, könnte die Sowjetunion ihre Ablehnung des von Kohl formulierten Plans überdenken.

Für den US-amerikanische Außenminister James Baker ist die deutsche „Vereinigung“ dann unprobblematisch, wenn sie allmählich vonstatten gehe und dasvereinigte Deutschland eindeutig der Nato angehöre. Eine Einheit könne vielerlei bedeuten: „Einen einzigen Bundesstaat, eine Konföderation oder etwas anderes“, sagte er in Washington.

Inzwischen sucht die SPD weiter verzweifelt nach einer deutschland-politischen Linie. Die zunächst im Bundestag klar ausgesprochene Zustimmung zu Kohls Wiedervereinigungsplan hatte Irritationen in der Bundestagsfraktion und Protest an der Parteibasis ausgelöst und wird nun durch nachgeschobene Interpretationen relativiert. Nach gestriger Darstellung des Fraktionsvizes Horst Ehmke soll es Karsten Voigts Worte, „wir stimmen in allen zehn Punkten zu“, so nun gar nicht gegeben haben; außerdem hätte Voigt „aus dem Stand“ antworten müssen. Schließlich hatte die Fraktion damit ja nicht nur eine deutsch-deutsche Konförderation begrüßt, sondern auch das von Kohl formulierte Ziel einer „förderativen Ordnung“ und einer „staatlichen Einheit“.

Heute wird nun die SPD-Fraktion einen Antrag im Bundestag zur Abstimmung stellen, in dem es heißt, die „Vorschläge“ Kohls „zur stufenweisen Entwicklung der Zusammenarbeit mit der DDR“ seien „zu begrüßen“. „Unabdingbare Vor Fortsetzung Seite 2

aussetzung“ dafür sei aber die Anerkennung der polnischen Westgrenze. Außerdem wird die Ablehnung der Modernisierung der Kurzstreckenraketen verlangt. An diesen beiden Forderungen war zuvor das Ansinnen einer All-Parteien -Erklärung gescheitert. Wie sich allerdings die SPD heute verhalten wird, wenn die Koalition Kohls Zehn-Punkte -Programm gesondert zur Abstimmung hält, das ließ Ehmke gestern vorsichtshalber offen.

Und er wich ebenfalls einer Antwort aus, ob die SPD denn nun für die staatliche Einheit sei oder nicht. Ehmke: „Das ist eine falsche CDU-Frage.“ Lieber flüchtet sich der Fraktionsvize ebenso wie andere führende Sozialdemokraten in die fortgesetzte Beteuerung, die Union habe nun sozialdemokratische Vorstellungen übernommen, weil sie sich „die Politik der kleinen Schritte“ zu eigen gemacht hätte. Beide Parteien unterscheide in der Deutschlandpolitik „nur der Sprachgebrauch“ (Ehmke), „die Rhetorik“ (Momper). Auf dem Berliner Parteitag dürfte es der Führungsriege allerdings schwer fallen, der Partei klarzumachen, wie eine Wahl gewonnen werden soll, wenn sich die SPD beim Wahlkampfthema Nummer eins von der Regierung nur verbal unterscheidet.

Angesichts ihres patriotischen

Schleuderkurses können Rechte die SPD nun gar von links kritisieren: Lafontaines Warnung vor dem „Zugriff“ der Übersiedler auf das hiesige Sozialsystem bezeichnete der CDU -Generalsekretär Rühe gestern als „Republikanertöne“, die in „gefährlicher Weise die Stimmung an den Stammtischen aufgreifen“ würden. Rühe: „Lafontaine gebührt die Ehrenmitgliedschaft bei den Republikanern.“

Ähnlich wie Ehmke kritisierte auch der FDP-Vorsitzende Otto Graf Lambsdorff die fehlende Konsultation der Verbündeten, der Sowjetunion und der DDR vor der Veröffentlichung des Zehn-Punkte-Programms durch den Kanzler. Außerdem bemängelte er, daß in dem Katalog die Anerkennung der polnischen Westgrenze „fehlt“.

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