: Das Nachtfahrverbot darf nicht zum ökologischen Placebo werden
Der österreichische Verkehrsminister Rudolf Streicher über den Konflikt mit seinem deutschen Kollegen Zimmermann und das heute in Kraft tretende Nachtfahrverbot für Lkw ■ I N T E R V I E W
taz: Wie sieht es ab heute auf den Transitstrecken aus? Stehen Sie zu Ihrem Nachtfahrverbot?
Rudolf Streicher: Es wird ein Nachtfahrverbot geben, so wie wir es vorgesehen haben. Nicht mehr zeitgemäße Lkw müssen in der Nacht zwischen 22 Uhr und fünf Uhr pausieren. Nur lärmarme Fahrzeuge oder Fahrzeuge, die mit leichtverderblichen Lebensmitteln, mit Stech- und Schlachtvieh oder Milch unterwegs sind, erhalten Durchlaß. Das ist das Ausnahmepaket, das wir beschlossen und mit der EG ausgehandelt haben.
Ihr deutscher Kollege Zimmermann hat als Vergeltungsmaßnahme für 212.000 österreichische Lkw ein Nachtfahrverbot angekündigt. Was sagen Sie dazu?
Es gibt da einen grundsätzlichen Unterschied. Das österreichische Nachtfahrverbot entspricht den internationalen Verträgen. Wir beziehen uns hier auf das Freihandelsabkommen mit der EG von 1972, das den Schutz der Gesundheit, den Schutz von Pflanzen und Landschaft herausstellt und eine Durchfahrtsbeschränkung ausdrücklich möglich macht. Also haben wir ein eindeutiges Schutzmotiv, während das von Herrn Zimmermann in Aussicht genommene Repressionspaket diskriminierend, nicht EG-vertragskonform und wettbewerbsverzerrend ist. Unser Nachtfahrverbot gilt nur auf bestimmten Strecken, nämlich auf den schwerbelasteten Alpenrouten, und hat deshalb wie gesagt ein Schutzmotiv. Das Nachtfahrverbot von Herrn Zimmermann hat dagegen ein Druckmotiv.
Stimmt es, daß Sie den österreichischen Überseehandel nicht mehr über deutsche Häfen abwickeln, wenn Zimmermann seine Drohungen wahrmacht?
Nein. Ich habe immer gesagt, daß sich verkehrspolitische Probleme nicht zum Muskelspannen eignen. Ich möchte bis zur letzten Minute in konstruktiven Verhandlungen und Gesprächen um Verständnis werben. Minister Zimmermann hat allerdings ausdrücklich gesagt, er sei nicht mein Gesprächspartner, mein Gesprächspartner sei die EG. Die EG war aber mit dem Verhandlungsergebnis zufrieden. Wir haben mit der EG ein umfassendes Ausnahmepaket ausgehandelt. EG-Kommissar van Miert hat diese Woche nochmals von einem fairen Kompromiß gesprochen. Die EG steht also nach wie vor zu diesem Ergebnis. Herr Zimmermann hat uns zuerst an die EG verwiesen. Dann war er mit deren Ergebnis unzufrieden, also wollte er noch weitere Zugeständnisse: Der grenznahe Verkehr und Lkw-Leerfahrten sollten vom Verbot ausgenommen, der Termin verschoben werden, 84 Dezibel Lkw sollten weiterhin in der Nacht fahren können usw. Unter dem Strich hätte dies 80 Prozent des Ist-Zustandes bedeutet. Dann wäre das Nachtfahrverbot zum ökologischen Placebo geworden.
Nach Meinung von Zimmermann ist der Konflikt jetzt ein bilateraler zwischen der Bundesrepublik und Österreich. Was wollen Sie tun, wenn er seinen Betonkurs fortsetzt? Geben Sie noch weiter nach, oder gibt es dann ein totales Transitverbot für deutsche Lkw?
Nein, schau'n Sie, ich verhandele. Und ich werde keine Verhandlungsziele in der Öffentlichkeit bekanntgeben. Wir haben bislang auch mit der deutschen Seite noch ein konstruktives Klima. Darauf setze ich. Wir wollen den Bahnverkehr forcieren. Wir können ab 1.Dezember die Kapazität verdreifachen und ein Äquivalent von 1.200 Lkw auf die Bahn verlagern. Es gibt für die Transportwirtschaft drei Ausweichmöglichkeiten: erstens auf Flüster-Lkw, zweitens auf die Bahn, drittens auf die Durchfahrt am Tage.
Kritiker aus der Ökologiebewegung sagen, von Ihren Nachtfahrverbotplänen sei nur noch wenig übriggeblieben. Die Ausnahmeregelungen seien mehr als großzügig. Und nach der Übergangsfrist von sechs Monaten werde das Gerangel von vorn losgehen...
Vorige Woche auf der Verkehrsministerkonferenz in Paris ist ausdrücklich gesagt worden, daß dieses österreichische Nachtfahrverbot ein heilsamer Schock ist. Ich glaube, daß in einem halben Jahr auf keinem europäischen Fertigungsband mehr ein anderes Lkw-System erzeugt wird als ein lärmarmes. Auf der Frankfurter Automobilausstellung hat sich jeder große Hersteller beeilt, einen 80-Dezibel-Lkw vorzustellen. Aber wenn man ihn nicht vorschreibt, wird er nicht gekauft.
Wie sieht es in den vom Transitverkehr stark betroffenen Gemeinden im Inntal und Tirol aus. Fürchten Sie nicht, daß Ihnen da Wählerstimmen verloren gehen, wenn die Forderungen nach Nachtruhe und frischer Luft nicht radikaler berücksichtigt werden?
Die betroffene Bevölkerung wird spürbar entlastet, nämlich mit einer Lärmreduktion von derzeit 52,9 Dezibel auf 41,5 Dezibel. Wir haben das gemessen. Die Kombination von lärmarmen Lkw, Flüsterasphalt und Tempo 60 gibt eben diesen Effekt. Wir hatten nämlich einen Großversuch. Als die Italiener den Brenner blockierten, hatten wir etwa 7,5 Dezibel Lärmreduktion - das ist in der Akustik ein Quantensprung.
Der Lkw-Verkehr wird stärker von der Nacht auf den Tag verlagert. Und durch die großzügigien Übergangsregelungen wurde das ursprüngliche Vorhaben doch sehr zurückgenommen. Meinen Sie, daß die Gemeinden im Inntal und in Tirol damit zufrieden sind?
Also es fallen etwa 15 Prozent des Lkw-Aufkommens unter diese Ausnahmeregelungen. Und wenn man die akustischen Gesetze, nämlich die Lärmkurve versteht, weiß man, daß bei jeweiliger Verdoppelung der Verkehrsleistung der Lärm um einen konstanten Wert - in 250 Meter Abstand sind das zwei Dezibel - steigt. Es ist also falsch zu behaupten, was ich in der Nacht wegnehme, hab ich am Tag. Sie sehen, wir haben ein ordentliches Argumentationsgebäude entwickelt. Und wir haben auch für die Fahrer etwas getan. Wir haben 4.500 Parkplätze entlang unserer Transitrouten eingerichtet, 3.500 davon im unmittelbaren Autobahnbereich, wo die Fahrer ab 22 Uhr unterkommen können. Für die etwa 1.500, die in der Nacht unterwegs sind, haben wir also dreimal soviele Parkplätze wie notwendig.
Die EG-Kommission hat Österreich lange Zeit vorgeworfen, das Nachtfahrverbot eigenmächtig und ohne Abstimmung mit der EG eingeführt zu haben. Haben Sie denn niemals die Belastung Österreichs durch den Alpentransit von einem EG-Land ins andere vorgebracht?
Ich habe das mehrmals getan, fast bei allen Verkehrsministerkonferenzen. Ich bin derzeit der dienstälteste Verkehrsminister Europas. Ich erlebe den vierten italienischen Kollegen, den dritten deutschen Kollegen, den zweiten schwedischen, den zweiten Schweizer, die Jugoslawen kann ich gar nicht zählen. Ich habe immer daraufhingewiesen, daß die freie Wahl des Verkehrsmittels ein Kollektivirrtum ist, weil man die Grenzen des Straßenverkehrs erkennen muß und die zwölf, 14-, 16- oder 18spurige Autobahn nicht unser Ziel sein kann. Schauen Sie, ich biete Ihnen ein Vergleich an. Nehmen wir an, ein kleiner See in der Bundesrepublik wäre ökologisch total überlastet, und es wird ein Badeverbot verhängt. Das ist ein See, in dem alle baden: die Europäer und auch die Österreicher. Was wäre, wenn dann die Österreicher sagen würden, daß alle Deutschen und nur die Deutschen als Revanche in keinem österreichischen See mehr baden dürfen. Das ist ein Vergleich, der zulässig ist. Wir haben hier höchst sensible Strecken, und die ökologische Kapazität ist einfach begrenzt.
Hat Sie die EG-Kommission in den Verhandlungen eigentlich sehr unter Druck gesetzt? Oder warum wurden die Ausnahmeregelungen ausgeweitet?
Wir haben gar nicht so viele Ausnahmen. Es handelt sich um leichtverderbliche Lebensmittel mit Versorgungscharakter, Milch, Schlacht- und Stechvieh in etwa. Das sind 15 Prozent der Fahrzeuge, die in der Nacht unsere belasteten Strecken passieren. Das habe ich zugestanden, weil wir alle miteinander in einem europäischen Verkehrsbett schlafen, und ich nicht allein auf der Welt bin. Und das ist ein fairer Deal.
Die Drohungen, daß bei einem Nachtfahrverbot, Ihre Chancen auf einen EG-Beitritt schwinden, haben Sie nicht beeinflußt?
Ich habe immer gesagt, die Frage des Transitverkehrs eignet sich nicht, als Tauschobjekt für andere EG-relevante Fragen. Schauen Sie, eine Mitgliedschaft zur EG macht aus Tirol keine Tiefebene. Wir haben dort eine ganz bestimmte Topographie, eine überkritische Sensibilität. Dieses schmale Tal hat andere Hall- und Schallcharakteristika, wir haben dort überdurchschnittlich hohe Schadstoffwerte, wir haben in diesem Tal auch das 40fache Lungenkrebsrisiko, das ist einwandfrei nachgewiesen. Deshalb werden wir in Österreich nach 1991 nurmehr schadstoffarme Lkw zulassen. Wir haben einen verkehrspolitischen Stufenplan entwickelt. Das ist alles nichts Neues. Das ist kein Hüftschuß, sondern steht seit Jahren in unserem Regierungsprogramm.
Interview: Beatrix Bursig
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