piwik no script img

Guerilla in El Salvador versucht Bevölkerung zu schonen

Den zweiten Großangriff gegen die Armee verlagerte die salvadorianische Guerilla in die Villenviertel / Luftwaffe bombardiert erstmals Nobelbezirke / Guerilla bot sechs Stunden Feuerpause zur Evakuierung der Bevölkerung an / VertreterInnen von Opposition und sozialen Organisationen werden massiv verfolgt  ■  Aus Managua Ralf Leonhard

Kaum eine Woche nach ihrem Rückzug aus San Salvador hat die FMLN-Guerilla einen Sperrgürtel der Armee durchbrochen und die Hauptstadt erneut zum Kriegsgebiet gemacht. Diesmal konzentrierte sie sich auf die Wohnviertel der Reichen, wo sie Barrikaden errichtete und die Streitkräfte in stundenlange Gefechte verwickelte. Die Guerilla bot wenigstens in den westlichen Vororten eine sechsstündige Feuerpause an, um der Bevölkerung Gelegenheit zur Flucht zu geben. Der Untergrundsender Radio Venceremos rief besonders Ausländer zum Verlassen der Kampfgebiete auf. Die US -Botschaft brachte einen Teil ihres Personals außer Landes.

In den frühen Morgenstunden des Mittwoch besetzten Guerilleros Teile der Nobelbezirke Escalon und Lomas Verdes, wo sie sich gegen die Armee behaupten konnten. Auch wenige Häuserblocks von der Residenz Präsident Cristianis tobten Kämpfe. Radio Venceremos spricht bereits von einem „Bogen der Freiheit“, der von den Nobelvierteln im Westen bis zu den Arbeiterbezirken Cuscatancingo und Soyapango im Nordosten reicht. Guerillaeinfälle in diesen Bezirken sind wieder mit Angriffen der Luftwaffe beantwortet worden. Anders als letzte Woche nahm die Luftwaffe diesmal auch die Guerillapositionen in den Reichenvierteln unter Beschuß. Die Regierungstruppen mußten schwere Verluste hinnehmen.

Im Bezirk San Benito, wo neben der einheimischen High Society vor allem Diplomaten residieren, sahen sich Angehörige der US-Botschaft durch die Gefechte in ihrer Sicherheit bedroht. Der Mitteilung des Sprechers des Weißen Hauses, Marlin Fitzwater, daß die Guerilla US- Personal angriffe, widersprach die FMLN. Sie betonte in einem Kommunique, daß für die Guerilla „weder das Personal noch die Infrastruktur der USA in El Salvador militärische Ziele“ seien. Die Botschaftsangehörigen wurden allerdings aufgefordert, in ihren Häusern zu bleiben und ihr Sicherheitspersonal aus den Kämpfen herauszuhalten. Offensichtlich mischen nämlich auch Privatleute bei den Schießereien mit. Ein Tontechniker der US -Fernsehgesellschaft Univision wurde Mittwoch von einem Zivilisten aus einem Haus in Escalon angeschossen.

Daß die Guerilla die japanische Botschaft besetzt hätte, wie der CIA-Chef William Webster in Washington mitgeteilt hatte, hat sich als Falschmeldung erwiesen. Das Gerücht kam auf, nachdem in der Nähe der japanischen Botschaft heftige Kämpfe stattgefunden hatten. Meldungen, nach denen die Guerilla zwei Groß-Unternehmer als Geiseln genommen hat, wurden bislang nicht bestätigt. Auch in der Provinz ist die relative Ruhe der vergangenen Tage dem Gefechtslärm gewichen. In Zacatecoluca, rund 50 km südöstlich der Hauptstadt, vermeldete Radio Venceremos Verluste der Regierungstruppen. In San Salvador sind die Sicherheitskräfte nach wie vor damit beschäftigt, die Wohnhäuser und Lokale von Oppositionsführern und Volksorganisationen zu durchsuchen. Ein Gewerkschafter gab bekannt, daß Arbeiterführer wie Julio Cesar Portillo und Tomas Mazariego mehrmals nur knapp der Verhaftung entgangen sind. Auch Isabel Hernandez, Leiterin des Vertriebenenkomitees CRIPDES, die mehr als zwei Monate ohne Anklage in Haft war, wechselt jede Nacht das Haus. Über den Armeesender, den alle anderen Radios seit Verhängung des Ausnahmezustandes übernehmen müssen, werden ständig Drohungen gegen Vertreter der „Frontorganisationen der FMLN“ ausgesprochen. Zugleich meldete die Armee die Verhaftung von insgesamt 41 angeblichen FMLN-Mitgliedern. Die seit Samstag wegen Waffenbesitz verhaftete US-Bürgerin Jennifer Casolo kann kaum mit der Unterstützung der Behörden ihres Landes rechnen. Präsidentensprecher Fitzwater meinte, es gäbe erdrückende Beweise gegen die Kirchenmitarbeiterin, die nach Darstellung der Armee mehrere Tonnen Waffen in ihrem Haus versteckt hielt. San Salvadors Erzbischof Arturo Rivera y Damas, ebenso geflohen wie sein lutherischer Amtskollege Medardo Gomez, hat in Costa Rica seine Beschuldigung wiederholt, in El Salvador trieben rechtsradikale Todesschwadronen ihr Unwesen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen