: Polizeiliche Staatsbürgerkunde
■ Schulveranstaltung zu Polizeiübergriffen gegen Jugendliche am Gymnasium Hamburger Straße
Selten war der Nachmittagsun terricht am Gymnasium an der Hamburger Straße so gut besucht wie gestern. Der Stoff, der da geboten wurde, lockteeine seltene Mischung von Menschen auf die harten Stühle. Ein illustres Spektrum war da vertreten: viele, viele Palästinenser-Tücher und Flickenhosen (unzweifelhaft SchülerInnen), dahinter mit viel Moral ausgerüstet die Jeans ohne Löcher (Eltern), dann die mit Pathos in der Stimme und dem schlecht sitzenden Pullover (Lehrer), ein Sakko (der Rektor), mehrere Parka (ca. acht Zivilpolizisten) und eine Uniform (der Leiter der Schutzpolizei, Bode).
Es war eine ungewöhnliche Schulveranstaltung, die da gestern an die hundert Leute mobilisiert hatte. Leise, aber bestimmt hatte der Rektor Stille zu Beginn
das Ziel der Zusammenkunft definiert: „Sie dient aus Sicht der Schule der Solidarisierung mit denjenigen SchülerInnen, die die Erlebnisse mit der Polizei hatten. Wir hoffen“, so der Schulleiter, „daß ihr politisches Engagement deshalb nicht nachläßt“.
Es ging um die massenhaften Festnahmen am 19. November im Ostertor und um die Frage ob, denn solche eklatanten Rechtsbrüche der Beamten angesichts der dort herrschenden Struktur nicht auch künftig ein typisches Bild der Polizei sein werden.
Bode war als Leiter der Schutzpolizei eingeladen, Rechenschaft über das Verhalten seiner Kollegen abzugeben. Über sein anfängliches Eingeständnis („Wenn das alles so gewesen ist, wie hier geschildert, dann bin ich genauso erschüttert wie sie auch“ und
„Das bei diesem Einsatz Fehler gemacht worden sind, da bin ich mir sicher“) hinaus, geriet seine Argumentation allerdings eher zu einem Lehrstück über die Lavieren -Mentalität des polizeilichen Beamtenapparats. Nichts Grundsätzliches, keine Vorschläge, kein Zugehen.
Stattdessen alles relativierende Bemerkungen zu den konkreten Vorwürfen. „Das mag dem Ziel gedient haben, die Situation aufzulockern. Es kann auch sein, daß der eine oder andere sich im Ton vergriffen hat oder gestreßt war“, kommentierte Bode die Schilderung eines Siebzehnjährigen. Dem war, nach mehreren Stunden Zelle, nachts bei der ED -Behandlung von einem Beamten gesagt worden: „Halt stille, wie willst Du denn sonst später mal ne Frau befriedigen!“
Schüler beklagten sich, nicht über ihre Rechte aufgeklärt worden zu sein. Bode: „Es gibt keine Pflicht, Ihnen das so deutlich zu sagen.“ - Eltern beschwerten sich, daß ihre Kinder nicht von der Wache aus telefonieren durften. Bode: “ Es gibt keine rechtliche Vorschrift, die uns zwingen könnte, die Eltern zu benachrichtigen“. Lehrer fragten nach der Verhältnismäßigkeit des Einsatzes. Bode: „Wir haben die 26 Festgenommenen vorgeführt, um ihre Personalien hieb-und stichfest zu haben. Mehr ist nicht passiert. Abgesehen von den Ausrutschern.“
„Das bestätigt“, äußerte nach einer Weile der anwesende Jura
Professor Wahsner, „meine schlimmsten Befürchtungen, was die Ausbildung der Polizei im Lande Bremen angeht“. Das Feindbild, das sich über die schwarze Jacke und das Palästinenser-Tuch herstellt, so schien es auch bei dieser Veranstaltung, gehört zur Grundausstattung der Polizei. Einer der Jugendlichen kommentierte das treffend: „Wenn Sie nur das Tuch als Festnahmekriterium ausgeben, dann heißt es demnächst, alle mit Haaren auf dem Kopf.“
Andreas Hoetzel
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