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Vom Freiheitskämpfer zum Wirtschaftsflüchtling

■ Unter polnischen Bürgern regt sich Widerstand gegen die neue Weisung zu Ostblockflüchtlingen / Die Zahl der Betroffenen ist noch unklar / Vorurteile gegen Polen in beiden deutschen Staaten / „Gesamtdeutscher Entwertungsprozeß“

Der Saal ist überfüllt: Zigarettenrauch, Stimmengewirr und ratlose Gesichter. Mitarbeiter des „Polnischen Sozialrats“ haben ihre Landsleute ins Rathaus Schöneberg eingeladen, um sie über möglichen Folgen der Neuregelung für Flüchtlinge aus Ostblockländern zu informieren. Zwei Tage später schlägt die Ratlosigkeit in Protest um. Zahlreiche Polen versammeln sich vor dem Schöneberger Rathaus und demonstrieren Bannmeile hin oder her - gegen die aufenthaltsrechtliche Verschärfung.

Seit dem 1. November gilt in Berlin, was bereits im April auf der Innenministerkonferenz der Länder (IMK) beschlossen wurde: Die Sonderregelung für Flüchtlinge aus Ostblockländern ist aufzuheben, „die Rückführung abgelehnter Asylbewerber“ in Staaten des Ostblocks damit möglich. 1966 hatten die Innenminister, ganz dem antikommunistischem Denkmuster verpflichtet, einen Abschiebestopp in Ostblockländer verhängt.

Betroffen von der Weisung sind in Berlin vor allem Polen. Wieviele aufgrund dieses Erlasses tatsächlich die Koffer packen müssen, wird sich in den nächsten Monaten zeigen. Der „Polnische Sozialrat“, der sich in den letzten Monaten immer stärker für die politischen und sozialen Belange seiner Landsleute in Berlin eingesetzt hat, befürchtet, daß mittelfristig rund 10.000 der über 20.000 in Berlin lebenden PolInnen ausreisen müssen, Vertreter der Innenverwaltung schätzten die Zahl in der letzten Sitzung des Ausländerausschusses auf 2.500.

Stichtag für die Regelung ist der 1. Mai 1989. Wer vor diesem Datum eingereist ist, kann sich Hoffnungen auf die Übergangsregelungen machen. Wer zum Beispiel nach Ablehnung seines Asylantrages eine Duldung erhält, darf bleiben - mit einer entscheidenden Einschränkung: er oder sie muß nachweisen, von Sozialhilfe unabhängig zu sein und legal zu arbeiten. „Wie soll das bitte gehen“, fragt Edda Zint, die zuständige Fachfrau für Polen im Büro der Ausländerbeauftragten. „Während des Asylverfahrens unterliegen die Leute einem fünfjährigen Arbeitsverbot.“ Und selbst danach sei es den meisten unmöglich, beim Arbeitsamt die begehrte Arbeitserlaubnis zu bekommen. „Wenn man die Menschen hier leben läßt, dann muß man ihnen auch sagen, wovon.“ Und sie zitiert aus einem Schreiben des Arbeitsamtes, das die Erteilung einer Arbeitserlaubnis mit der Begründung ablehnt, der Antragsteller habe nichts weiter vorzubringen als menschliche Bedürfnisse.

Dabei hat der Eintritt polnischer Bürger ins multikulturelle Berlin ganz anders angefangen. „Herzlich willkommen“, hieß es Anfang der achtziger Jahre auf Flugblättern des Senats. In Warschau war das Kriegsrecht ausgerufen worden. Die Polen galten als Kämpfer für Freiheit und Demokratie schlechthin. In West-Berlin stieg die Zahl polnischer Emigranten von rund 3.500 im Jahre 1979 auf fast 9.000 im Jahre 1982. Den Gang durch das Asylverfahren ersparte man ihnen damals: Die meisten erhielten eine Duldung mit Anspruch auf Sozialhilfe. „Wohlwollendes Verwaltungshandeln“ - so umschreibt Edda Zint die damals vergleichsweise gute Situation polnischer Flüchtlinge in Berlin. Dem setzten 1984 die Sozialämter ein Ende, als sie den Polen den Anspruch auf Sozialhilfe absprachen. Schließlich hätten die meisten keinen Asylantrag gestellt.

Damals griffen Polen zum ersten Mal zu politischen Protestaktionen - eine kleine Demonstration, ein mehrwöchiger Sitzstreik am Kurt-Schumacher-Platz. In Einzelfällen zeigten die Sozialämter ein Einsehen, doch den meisten Polen blieb nichts anderes übrig, als bei der Ausländerbehörde Asyl zu beantragen. Faktisch wurden sie in ein Verfahren hineingezwungen, dessen negativer Ausgang in den meisten Fällen vorhersehbar war. Zwar erhielt mit Beschluß des Senats jeder abgelehnte Asylbewerber aus einem Ostblockland eine Duldung, doch aus den ehemaligen „Freiheitskämpfern“ waren im Zerrspiegel der Öffentlichkeit „Wirtschaftsflüchtlinge“ und „Schmarotzer“ geworden.

„Man hätte ehrlicherweise gleich sagen müssen: Wir wollen euch hier nicht“, sagt Edda Zint. „Aber man darf sie hier nicht langsam entwerten und ihnen dann auch noch die Schuld dafür geben, daß sie so schlecht behandelt werden.“ Ihr schwant eine gesamtdeutsche Einigkeit, die ihr unheimlich ist: Einkaufsverbot für Polen in der DDR, Verschärfung des Aufenthaltsrechts in der BRD und West-Berlin. „Wenn der Traum von Europa so anfängt, ist es verdammt traurig.“

anb

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