KONTRASTE INDIENS

■ Wie ein Gedicht über das Reisen entstand: „Terrakotta eines Schlafes“

Es sind die Wahrnehmungen der Kontraste, die man unterwegs verarbeiten muß. Gelegentlich passiert es, daß ich mich heimlich von wissenschaftlichen Tagungen davonschleiche, um radikalen Kontrasten nachzuspüren.

So war es auch in jenem Sommer. Ich mußte wieder einmal an einem Symposium zum damaligen Modethema Entfremdung in der Gegenwartsliteratur Indiens teilnehmen. Diese Tagung fand in einem der mondänsten Hotels von Neu Delhi statt. Gleich zu Beginn war mir bereits klar, daß dieses Unterfangen mit meinem Indien nicht das geringste zu tun haben konnte. Ja, alles war für mich befremdend. In gewissem Sinne waren die hier angetroffenen Kontraste perfekt. Draußen: sprichwörtlich, eine Bombenhitze - drinnen: kühltruhenähnlich klimatisierte Hotelhallen. Draußen röstete ein mikriger Händler Maiskolben, umlagert von lithographischen Figuren, die von Käthe Kollwitz stammen könnten. Drinnen bedienten elitär livrierte Kellner rund um die Uhr vom überladenen Büffet. Sie breiteten vor ihrem vornehm gekleideten Gästen geradezu ein kulinarisches Paradies aus aller Welt aus. Mir schien das ganze Symposium wie eine vorprogrammierte Parade des Wohlstandes zu sein. Und wie zu erwarten, konnten einige der Tagungsteilnehmer an den Kolloquien dann auch nicht teilnehmen, denn, übersatt wie sie waren, wurden sie von einem Nickerchen übermannt.

Ich konnte das Ende der einwöchigen Tagung nicht abwarten und reiste eines Morgens abrupt ab. Plötzlich fand ich mich im Getümmel des Hauptbahnhofs wieder. Es war nicht der Wunsch der Heimreise, der mich dahin trieb. Eigentlich wollte ich meine Rückkehr nach Kalkutta noch hinauszögern. Ein konkretes Reiseziel hatte ich nicht anvisiert, und so entschied ich mich erst im letzten Moment, während ich in der langen Schlange der Wartenden vor dem Fahrkartenschalter stand, für Varanasi. Noch nie war ich ein Pilger und hatte auch jetzt nichts Sakrales im Sinn. Als ich endlich in der Eisenbahn einen Stehplatz auf dem Flur erkämpft hatte, sah ich um mich herum lauter Menschen, die sich auch ohne Platzreservierung hier einnisteten. Und so wurde ein buntes Gemisch von Mitreisenden mein Zuhause: Reisbauern, Bettelmönche in Safrangelb, junge weißgekleidete Witwen, Generationen in allen Variationen. Inmitten dieses Gedränges war eine Oase nicht zu übersehen: sieben Angehörige eines Santalstammes aus Bihar waren friedlich nebeneinander eingeschlafen. Ihre schwarzblauen Körper erinnerten an einen Spätmonsunhimmel, der eine angespannte Ruhe ausstrahlt. Der Kontrast dieser harmonisch Schlafenden zu den im Luxushotel eingedösten Diskutanten führte mich zu folgendem Eisenbahngedicht:

Der Zug hielt an in Sahebganj, stand

auf dem rechten Bein. Der Zug fuhr ab

Ein irdenes Abteil der dritten Klass

sieben vom Land im Schlaf zum Fries geordnet, lautlos leblos

die Hand des einen auf des andern Schulte

auf dem nackten Leib des einen

des andern Hand; die Anmut eines gemeinsamen Schlaf

biegt sich zum Halbkreis: Brust einer Windsbraut

ein Wagen fährt zum Himmel, in Lehm gebrannt

Alokeranjan Dasgupta