: MOPSHAFTE
■ Thomas Mann: "Tagebücher 1946 - 1948"
Am 29.1.1947 notierte Thomas Mann in sein Tagebuch: „Schrieb um halb zwölf die letzten Worte des 'Dr. Faustus‘.“ In den folgenden Monaten immer wieder Notizen wie diese: „Sehr starke sexuelle Potenz und Not neuerdings.“ Der 70jährige notiert sich jetzt auch gern Zeitungsmeldungen wie diese: „Ein 92jähriger Mann bekommt einen Sohn von seiner 23jährigen Frau.“ Dann, schon am 9.4., nach nur wenigen Wochen Urlaub nach dem Abschluß des „Dr. Faustus“, der ihn jahrelang absorbiert hatte, notiert der große Arbeiter: „Unbehagen aus Mangel einer laufenden, beschäftigenden Arbeit.“ Ein Bohemien war er wirklich nicht. Er brauchte eine feste Anstellung, aber - zu unser aller Glück - einer am eigenen Werk. Am 21.12.1947 heißt es dann endlich nach langen Monaten, die er mit der Kontrolle der verschiedenen Ausgaben des „Dr. Faustus“ beschäftigt war: „Beginn der Annäherung an den 'Erwählten‘.“ Eine Woche zuvor hatte er sich notiert: „Das Kreuz des Geschlechtes, Ärgernis, mit einem Einschlag von Eitelkeit.“ Es scheint sich um eine Art Ritterkreuz gehandelt zu haben. Ein Leiden jedenfalls, das er mit einiger Koketterie pflegte, in dem er wohl auch einen Stimulus für sein Werk sah. Aber was wäre ihm keiner gewesen? Wenn schon nicht alles seiner Seligkeit dienen mußte, so doch der seiner Arbeit. Die ganze ihn umgebende Welt einzuholen in den Roman, die so unbefriedigend eingerichtete Natur zu einem reflektierenden, reflektierten, funkelnd intelligenten, ergreifend Schönen zu machen, das war ihm die Arbeit des Autors. Er war klug genug, um das Überhebliche darin zu sehen, auch die Notwendigkeit, sich allzusehr zu spreitzen dabei, sich lächerlich zu machen. Also war er schlau genug, das Lächerliche mit hineinzunehmen ins Werk, das Mopsgesichtige des Schönen nicht zu verschweigen. Er wußte auch, daß die Beifügung des scheinbar Schmälernden dem Erhabenen keinen Abbruch tun muß, es vielmehr profilieren und in seiner Wirkung steigern kann. Die Tagebücher geben immer wieder den Blick auf den Stoff frei, aus dem er seine Bücher bastelte. Nein, das Basteln war immer nur der Anfang, sein Ziel war der Fluß, der Fluß der Erzählung. Ein Fluß, der über lange Seiten zum Strom werden, dann ein Wasserfall, ein Rinnsal, eine Fontäne, eine Quelle, ein rauschender Bach sein konnte.
Nichts davon in den Tagebüchern. Die sind monoton. Natürlich jede Menge Zeitgeschichtliches aus den USA und aus Deutschland. Die Kommunistenhatz in der neuen und die Nazimitläufer in der alten Heimat. Da sind die sorgfältig notierten Treffen mit Adorno, die Benjamin-Lektüre, die fast allabendlichen Plattenkonzerte, die unvermeidlichen Gänge zur Pedi- und Maniküre, die Auskünfte übers Wetter, das werte Befinden, den Ankauf von Krawatten, die hübschen Kellner oder einen sich am Strand einölenden Jüngling. Des Lebens bunt-banale Fülle. Fast alles aufgeschlüsselt von der tausendäugigen Herausgeberin Inge Jens. All das schon Grund genug, den Band zu lesen. Aber die wirkliche Freude bietet der Anhang mit einigen der aus dem „Dr. Faustus“ herausgenommenen Texte. Darunter auch ein paar Seiten über das homosexuelle Verhältnis Adrian Leverkühns zu Rudi Schwerdtfeger, in denen über „Neigung“, „Schönheit“ und das „Mopshafte“ so gesprochen wird, wie nur Thomas Mann es konnte.
Thomas Mann: Tagebücher 1946-1948, hrsg. von Inge Jens, S. Fischer-Verlag, 1.042 Seiten, 128 DM
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