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Nette Worte, keine Kohle

Momper traf Kohl: Gute Stimmung, keine konkreten Finanzhilfen, Aussicht auf Direktwahl  ■  Aus Bonn Gerd Nowakowski

„Freundlich“, „sachlich“, „an der Lösung orientiert“ - der regierende Bürgermeister Walter Momper fand lobende Worte für das zweistündige Gespräch mit Bundeskanzler Helmut Kohl, bei dem die in den letzten Monaten herrschende „Verstimmung beerdigt“ worden sei. Die Ergebnisse müssen ihn umsomehr enttäuscht haben: konkrete Finanzzusagen gab es nicht. Kohl habe aber versichert, er werde „Berlin nicht hängen lassen“, unterstütze die Einrichtung eines Gesamtberliner Regionalausschusses unter Beteiligung von DDR-Vertretern als Umsetzung der Kohlschen Vertragsgemeinschaft in seinem Zehn -Punkte-Plan und befürworte eine Wahlrechtsänderung. Nach einer entsprechenden Änderung des Wahlgesetzes und Zustimmung der Allierten - insbesondere der Sowjets könnten dann die Berliner bereits nächstes Jahr den Bundestag mitwählen; die Abgeordneten aber werden vorerst kein Stimmrecht haben, deutete Momper an.

Momper, der versicherte, er habe nach Abzug von „Mentalitätsunterschieden“ keinerlei Schwierigkeiten mit dem Kohlschen Zehn-Punkte-Fahrplan zur Wiedervereinigung, erläuterte vor der Presse ausführlich die finanziellen und sozialen Belastungen der Stadt. Die Situation seit der Öffnung der Mauer mit täglich mehreren Hundertausend DDR -Besuchern erzwinge einen schnellen Ausbau von Infrastruktureinrichtungen im Verkehr und Wohnungsbau. Berlin habe außerdem im laufenden Jahr 53.000 DDRler oder rund acht Prozent aller Übersiedler aufgenommen, weit mehr als die geltende Quote von drei Prozent. Momper bezifferte die Finanzbelastungen auf rund 800 Millionen Mark, wobei 500 Millionen allein auf den notwendigen Ausbau von Nahverkehrsmittel und Straßenanbindungen entfielen. Bonn sei „grundsätzlich bereit“ diese Lasten mitzutragen; Finanzminister Waigel (CSU) habe auf die Berücksichtigung Berlins in einem Nachtragshaushalt verwiesen. Waigel hat es aber offenbar abgelehnt, sich an den 1989 durch Übersiedler aufgetretenen Kosten zu beteiligen.

Die schnelle Verbindung zwischen Berlin und der BRD nannte Fortsetzung Seite 2

Momper als besonderers drängendes Problem. Einig sei man sich bezüglich eines schnellstmöglichen Ausbaus der Schnellbahnverbindung nach Berlin gewesen. Dem Kanzler sei zugesagt worden, daß der Berliner Anbinder der in der Senatskoalition umstrittenen Stromtrasse zwischen dem Bundesgebiet und West-Berlin im Dezember nach Entscheid über die umweltverträg

lichste Trassenführung genehmigt werde. Auch die Entscheidung zum Bau des Deutschen Historischen Museums, auf das Kohl drängt, werde im Dezember gefällt.

Regierungssprecher Klein teilte mit, es werde im Januar ein weiteres als „Erfolgskontrolle“ bezeichnetes Treffen geben. Bis dahin solle der Senat die finanziellen Belastungen der Stadt präzisieren. Sinn des gestrigen Gesprächs sei gewesen, Sachfragen zu klären. Für Kohl sei es unstrittig, daß Berlin „zusätzliche Hilfen“ brauche.

Walter Momper bezweifelte, ob eine Anerkennung der DDR -Staatsbürgerschaft zur Lösung eines möglichen Mißbrauchs der bundesdeutschen Sozial- und Gesundheitssysteme notwendig sei. Demgegenüber hatte seine Stellvertreterin, die Sozialsenatorin Stahmer (SPD), betont, man werde angesichts dieser Problematik um eine Anerkennung der DDR -Staatsbürgerschaft „nicht herumkommen“. Im Gespräch mit Kohl sei dies aber nicht angesprochen worden, weil man Kohls Meinung dazu kenne, sagte die teilnehmende Umweltsenatorin Michaela Schreyer (AL).

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