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DIE VERFOLGUNG DES HERRN EMMERICH

■ Ost-Revolutionäre und West-Opportunisten spielten an der Volksbühne die Tragödie „Marat/Sade“ und die Posse „Theaterskandal“

Den Märtyrer in der neuesten Provinzposse der Freien Volksbühne gibt der Regisseur Klaus Emmerich. Das Böse verkörpert der abwesende Intendant Hans Neuenfels und den Hanswurst spielt in allerschönsten Schmierentradition dessen Stellvertreter auf Erden, Harry Reich-Ebner - nur die führende Rolle des Spielleiters wurde im letzten Moment gestrichen. Die wollte eigentlich der Intendant an sich reißen - aber bekanntlich werden in diesen Zeiten solche Versuche öfters von der Geschichte überrannt.

Was war also geschehen? Klaus Emmerich sollte an der Freien Volksbühne „Die Verfolgung und Ermordung Jean Paul Marats dargestellt durch die Schauspielgruppe des Hospizes zur Chareton unter der Anleitungs des Herrn de Sades“ von Peter Weiss inszenieren. Und zwar erstens, weil das Stück lange nicht mehr in Berlin zu sehen war, zweitens, weil es ja doch aktuell wäre, weil Peter Weiss übernächstes Jahr 75 Jahre alt geworden wäre und drittens, viertens, fünftens und sechsten, weil Volksbühnentribun Hans Neuenfels mit dem Dichter einst befreundet gewesen sein will (wofür wir ihn an dieser Stelle einmal herzlich beglückwünschen wollen).

Der Regisseur (Ich bin ein Produkt der 68er Zeit und bin als junger Mensch mit dem Text groß geworden) hat also vertragsgemäß sein 64er Kindheitsdrama um die Dialektik von Ideologie (Marat) und Individualismus (de Sade) inszeniert. Dann ging der Intendant in eine der Endproben. Und siehe: es ward nicht gut. Flugs ein Schreiben an die Presse: „Um die Aufführung des Stückes MARAT/SADE von Peter Weiss nicht ohne kritische und interessierte Öffentlichkeit abzusetzen, hat sich die Intendanz der Freien Volksbühne entschlossen, die Arbeit des Ensembles und der Regie für alle Interessierten (...) kostenlos zur Diskussion zu stellen. (...)“ (s. taz v. 29.11.) Und wenn das Publikum das wollte, dann würde die Inszenierung auch weiter gezeigt, versprach Monsieur N., der absolute Herrscher, dann noch schnell in einem Anfall von Glasnost und Demokratisierungswut. Als würde an dieser Bühne („Wir sind das Volk“) nicht schon längst mit den Füßen abgestimmt.

Egal, man öffnete also die Türen und das skandal- und absetzungsgeköderte nichtzahlende Publikum strömte am Samstag so heftig wie seit Jahren nicht mehr. Schließlich mußte sogar der Rang geöffnet werden, was dem Kanzleramtsminister Hurra Reich-Ebner heftige Jubelschreie von den Parkettbesetzern einbrachte, denn ein Sprechchor unter der Leitung eines Dirigenten aus den eigenen Reihen hatte dies in schönster Prag-Ost-Berlin-Leipzig-Manier vorher ebenso friedlich wie eindrucksvoll gefordert.

Und das hat Neuenfels jetzt von seiner blöden Demokratie: irgendwie muß er vergessen haben, daß die nach Stimmung funktioniert. Und die war doch ganz prima, weshalb der Regisseur Emmerich bereits vor Vorstellungsbeginn schon rein soli-mäßig besser da stand als der Intendant, den sein Pakt mit dem gesunden Menschenverstand schon zu diesem Zeitpunkt gereut haben durfte.

Zur Inszenierung selber muß man eigentlich gar nicht so viel sagen. Ohne diesen Wirbel hätte wahrscheinlich niemand Notiz davon genommen. Doch nun: Jung-Ästhetinnen waren ordnungsgemäß „fasziniert“, Alt-Kulturisten waren ebenso ordentlich „empört“, der obligatorische Heiner „kein Knüller ohne“ Müller fand das gleich „eine der interessantesten Aufführungen“ und bat zum Gastspiel in der DDR während der unvermeidliche Thomas Brasch zum Durchhalten ermahnte, weil Peter Weiss ein Stück darüber geschrieben hätte, „daß Leute daran irre werden, daß sich eine Gesellschaft nicht ändert“, was doch gerade hier im Westen der Fall wäre - kurz: jeder reagierte so, wie man es in dieser Situation auch von ihm erwartet hätte. Das ist doch schon was.

Dabei ist Emmerichs Inszenierung nur eben ausnahmsweise einmal relativ konsequent. Er hat nämlich das Irrenhaus, in dem das Stück spielt ernst genommen und nicht nur als in den sechziger Jahren ebenso beliebte wie platte Metapher für den Zustand einer Gesellschaft. Entsprechend unpsychologisch und spannungsbogenlos ist die Inszenierung, denn bekanntlich gibt es im Irrenhaus weder Psychologie noch Geschichte noch gar Dialektik oder ähnlichen Sozio-Kitsch.

Deshalb sitzen-stehen-liegen-laufen auf der Bühne eben zwölf Personen gnädig-kurze eineinviertel Stunden vereinzelt und hospitalisiert herum und schnurren, stöhnen, flüstern, schreien ihren Text herunter. Heraus kommen zersplitterte Textfetzen, Arien, Antideklamationen ohne Bedeutung: Marat (Paul Wenning) in seinem Bad ist nur noch Schnellstleser, de Sade (Volker Spengler) plappert kölsch einen von der Revolution daher wie Else Stratmann. Der in solchen Fällen seit zwanzig Jahren übliche Refrain: „Das hat nichts mit Peter Weiss zu tun“, kam dann bei der anschließenden Diskussion auch prompt. Stimmt auch, macht aber nichts. Im Gegenteil.

Zum Schluß gab's jedenfalls ordentlich Applaus und Buhs armer Neuenfels, nicht neidisch sein! Bei der anschließend anberaumten Diskussion (Emmerich: „Herzlich willkommen zur Abstimmung“) ließ sich dann der Intendant erst gar nicht mehr blicken, sondern schickte seinen Reich-Ebner vor. Der wiederum meinte, er müßte jetzt alle „nach ihren Gefühlen“ fragen, worauf leider niemand denselben Ausdruck verlieh. (Denn sonst hätte die Antwort unbedingt heißen müssen: „Ich habe das Gefühl, hier sind die größten Schleimer am Werk“.) Trotz dieser prima Feuchtvorlage blieb man also unangemessen sachlich.

Weiss-Witwe Gunilla machte die Weiss-Witwe: „Das hat der Peter nicht gemeint.“ Gleichzeitig profilierte sie sich als Schauspielerschützerin, denn: „Hier wurden Schauspieler vergewaltigt.“ Darauf fragte Reich-Ebner die Schauspielerin Barbara Morawiecz, die schon bei der Uraufführung einst dabei gewesen sei nach „ihren Empfindungen“: „Ich habe versucht, solidarisch einen Prozeß durchzumachen. Ich habe nämlich einen Vertrag.“

Eine Jung-Germanistin, die stolz darauf war, die verschiedenen Stückfassungen zu kennen, wollte wissen, ob der Regisseur Marat als Ideologen denunzieren wollte, während dieser bereits fünfmal gesagt hatte, gerade darum ginge es nicht. Dafür verkündete einer aus dem Osten, bei ihm habe sich „eine Emotion eingeklinkt“ und er bewege sich jetzt „im Spannungsfeld zwischen Gehirnamputation und Weiterleben“. Ein anderer Schauspieler bekannte unterdessen: „Ich bin nicht vergewaltig worden“ und er fände weder das Stück, noch die Inszenierung spektakulär, sondern das Publikum. Das sei aber alles Schuld der Presse. Wieder ein anderer Schauspieler erregte sich und fand das „hier wie vor einer Strafkammer“, was ihm mehrere ins Mikro gehauchte „Ach Richie„s von Hurra Reich-Ebner einbrachte.

Im übrigen war sich dieser Letzte nicht zu Schade, immer wieder zu behaupten, an Absetzung wäre nie gedacht gewesen, vielmehr hätte man alles getan, um die Aufführung möglich zu machen, womit er sich immerhin in jeder Hinsicht als würdiger Nachfolger eines Günther Schabowski qualifiziert hat.

Gabriele Riedle

Die nächste Aufführung von „Marat/Sade“ von Peter Weiss an der Freien Volksbühne findet nun also doch am Donnerstag statt.

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