Vom Superbahnhof zur Spukhöhle

■ Potsdamer Platz: Der einstige Wunderbahnhof - was davon übrig blieb und was daraus werden könnte

Potsdamer Platz: Hier tobte das Leben. „Haus Vaterland“, „Aschinger“, Wertheim“, Hotel Fürstenhof“ - für Mythos und Hektik der untergegangenen ehemaligen Reichshauptstadt ist der Verkehrsknoten Potsdamer Platz ein Inbegriff. Ein paar muffige Tunnel, Röhren und Bahnsteige sind heute neben dem Namen die letzten Zeugen dieser einstigen Verkehrsdrehscheibe für Hunderttausende. Ganz plötzlich und noch ganz langsam - bekommen die verrotteten unterirdischen Bahnhofsanlagen für die Planer in Ost und West wieder eine praktische Bedeutung...

Tief unter der Erde schlummert eine schwarze Höhle. Wasser tropft von den Wänden auf die verrotteten Gleise, Ratten huschen über bröckelige Kacheln. Von weitem hört man das schwerfällige Kreischen eines U-Bahnzuges...

Oder auch nicht. Vielleicht glimmt das elektrische Notlicht, fleißige Werktätige polieren regelmäßig die Kacheln. „Potsdamer Platz“ steht auf ihnen in altdeutscher Frakturschrift. Hier, meterweit unter den Füßen der tütenschleppenden Besucherströme und der verschreckten Karnickel war einstmals einer der größten Untergrundbahnhöfe Europas. In welchem Zustand er heute ist, ist weitgehend unbekannt. Westler haben immer noch keinen Zugang.

„Das Bauwunder unter dem Potsdamer Platz läßt sich in Worten schwer schildern“, schwärmte die 'Deutsche Allgemeine Zeitung‘ im März 1939. Die Anlage war da knapp drei Jahre alt. Ganz unten befindet sich der jetzige Geisterbahnhof der S-Bahn nach Friedrichstraße mit seinen 120 Meter langen Bahnsteigen. Dann kommt ein Zwischengeschoß, von dem aus die Fahrgäste verteilt werden, neun Ausgänge führten damals ins Freie, über einen Tunnel konnte man zu der etwas höher und danebenliegenden U-Bahn umsteigen, die vom Gleisdreieck längs dem damaligen Potsdamer Bahnhof - heute Flohmarktgelände - bis zur Stadtmitte führte. Auch Umsteigen in die Eisenbahn nach Potsdam war möglich. Ein weiterer Anschluß Richtung Südring wurde angegraben, oberhalb des S -Bahnhofes wurde genug Raum im Erdreich gelassen, noch eine U-Bahnlinie unterzubringen. Seit 1961 liegt die Anlage brach. Vor allem in den letzten Wochen hat sie die Phantasie der Planer entzündet. „Den S-Bahnhof würden wir gerne in Betrieb nehmen, da sind wertvolle Gleisanlagen zum Wenden und Abstellen von Wagen“, sagt BVG-Sprecher Hecht. Da könne man mit dem Osten verhandeln, aber dies werde nicht billig. Über den Zustand des S-Bahnhofs streiten sich die Experten. „Wir sehen ihn ja nur aus dem vorbeifahrenden Zug, da macht er keinen guten Eindruck“, meint Hecht. Optimistischer ist man in der Verkehrsverwaltung. „Mit ein paar Eimern Farbe und ein paar Kacheln sieht der gleich viel besser aus“, sagt Schwips-Janssen, der zuständige Mitarbeiter. Solange ein Bahnhof „nicht unter Wasser stehe“, sei es nicht so schlimm.

Völlig unbekannt ist der Zustand des U-Bahnhofes. Mit dem Bau der Magnetbahn wurde ein Teil der Schienenstrecke, die sich vom Gleisdreieck Richtung Potsdamer Platz absenkt, abgerissen. Ein Rest des Tunnelstücks ist noch vorhanden, der Eingang verbirgt sich hinter einer unscheinbaren, abgeschlossenen Metalltür an der Bernburger Straße zwischen den Streben der Magnetbahn. Dahinter liegen verfallene Gleisreste im Dunkeln. Sie enden gut hundert Meter vor Ost -Berliner Gebiet an einer Ziegelwand, die im Zuge des Mauerbaus den potentiellen Fluchtweg abschneiden sollte. „Hinter dieser Wand hat man früher alle paar Minuten die Züge der Ostberliner U-Bahn im Westen kehren gehört“, erzählt ein BVG-Mitarbeiter. Das sei heute vorbei.

Ob die Züge von Pankow über Stadtmitte zur letzten Station Grotewohlstraße den dahinter liegenden U-Bahnhof Potsdamer Platz als Wendekehre benutzen und ob der Bahnhof folglich zumindest noch elektrifiziert und wasserfrei gehalten ist, blieb ein Geheimnis. „Ich glaube das nicht, denn wenn man an der Grotewohlstraße steht, dann fahren die Züge abwechselnd von beiden Bahnsteigen ab. Und wenn sie dahinter wendeten, würden sie immer vom gleichen Bahnsteig abfahren“, mutmaßt der Pressesprecher der Ostberliner Verkehrsbetriebe. Anderer Meinung ist man bei der Umweltsenatorin im Westen: „Außerhalb des Berufsverkehrs wenden die schon“, meint Verkehrsplaner Stoll. Gut gebrauchen könnte man nach dem Mauerbruch auch den U-Bahnhof. „Wenn man die Anlage reaktivieren würde, könnten Besucher aus Ost-Berlin am Potsdamer Platz in die S-Bahn einsteigen und Richtung Westen weiterfahren“, meint man bei der Umweltverwaltung. Schließlich fällt nächstes Jahr die Linie 1 teilweise aus, weil am Gleisdreieck die Brücke renoviert wird.

Noch besser, aber viel teurer wäre es, gleich die ganze gekappte Verbindung von Stadtmitte über Potsdamer Platz, Gleisdreieck, dem alten Hochbahnhof Bülowstraße bis zum Wittenbergplatz wieder herzustellen. Dem steht jedoch die Magnetbahn im Weg, räumlich wie rechtlich. Denn solange der Versuchsbetrieb nicht abgeschlossen ist - was 1991 der Fall sein wird - darf das Ding nicht abgeräumt werden, ohne daß das Bonner Verkehrsministerium seine Einsätze in Millionenhöhe zurückfordert. Und eine magnetisierte Stummelstrecke, die zum mehrmaligen Umsteigen zwingt, bringt den BVG-Benutzern nichts. Aber vielleicht, meint Stoll, könne man die Magnetbahn zwischen den U-Bahnhof Jungfernheide und dem Flughafen Tegel verpflanzen.

Billig wird das alles nicht. Die Verkehrsverwaltung hat pro Jahr 340 Millionen zur Verfügung, davon muß auch die laufende Instandhaltung bezahlt werden - und das Geld ist auf die nächsten zehn Jahre verplant. Allein die Reparatur des Bahnhofkomplexes Potsdamer Platz dürfte im zweistelligen Millionenbereich liegen. Ohne Zusatzmittel aus Bonn wird Europas ehemaliger Verkehrsknotenpunkt wohl eine düstere, unbrauchbare Höhle bleiben.

esch