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„Dann können wir die Kitas dichtmachen“

■ Zwei ErzieherInnen über den drohenden Vollstreik, den Zusatztarifvertrag zur Personalbemessung und den Kita-Alltag

Heute, morgen und übermorgen haben die Gewerkschaften ÖTV und GEW die ErzieherInnen in den Kitas zur Urabstimmung über einen Vollstreik aufgerufen. Vom 11. bis 15.Dezember soll die Arbeit in den städtischen Kitas ganztägig niedergelegt werden, und nicht nur zwei Stunden lang, wie in der Warnstreikwoche vor 14 Tagen. Der Vollstreik droht, weil der Senat als öffentlicher Arbeitgeber seit Wochen nicht mehr mit den Gewerkschaften über einen Zusatztarifvertrag verhandelt, der die Arbeitsbedingungen in den Kitas verbessern soll. Nach Ansicht des Senats ist der Tarifvertrag zu teuer und juristisch nicht haltbar. In den drei zuständigen Ressorts Inneres, Finanzen und Jugend rührt sich nichts - Jugendsenatorin Anne Klein signalisiert zwar Verständnis und unverbindliche Solidarität, tut aber bisher nichts, als die ErzieherInnen mit offenen Briefen zur Ruhe zu mahnen. So steht das Thema Streik denn auch offiziell nicht auf der Tagesordnung der heutigen Senatssitzung. Wie die taz gestern erfuhr, will sie aber heute nun doch eine Vorlage einbringen, in der die Wiederaufnahme der Verhandlungen gefordert wird. Die taz sprach mit der Erzieherin Marita Melzer und dem Erzieher Martin Cramer.

taz: Der Streik dreht sich ja nicht um Lohnerhöhungen, sondern um einen Zusatztarifvertrag. Warum ist der so notwendig?

Martin Cramer: Wenn es keine Perspektive für Veränderungen gibt und der neue Personalschlüssel nicht kommt, dann könen wir in ein, zwei Jahren die Kitas dicht machen. Einfach deswegen, weil da niemand mehr drin arbeiten will unter diesen Bedingungen.

Wodurch ist denn die Situation in den Kitas so schlimm geworden?

Marita Melzer: Sie ist schon lange schlimm. Trotz Arbeitszeitverkürzungen sind die Personalschlüssel vom Senat nicht verbessert worden. Im Gegenteil, es wurden immer mehr Kinder in die Gruppen gepreßt. Dann ist da der Mangel an ErzieherInnen, es werden zu wenige ausgebildet und es halten nur wenige diesen Beruf durch. Im Schnitt ist nach fünf bis acht Jahren Schluß. Da wird kaum eine alt.

Eine große Rolle im Alltagshorror spielen ja wohl die Gruppengrößen.

Cramer: Der Punkt ist, daß die Anzahl der ErzieherInnen im Verhältnis zur Anzahl der Kinder von den verschiedenen Senaten frei festgelegt worden ist. Seit Jahren ist da Personal abgezogen worden. Bei Urlaubszeiten, Ausfällen durch Krankheiten oder Kuren müssen meist Gruppen zusammengelegt werden, weil die Ausfallzeiten viel zu gering ansetzt sind. Da müssen dann tagtäglich im Kindergarten 20, 25 Kinder statt offiziell 15 betreut werden. In den Hortgruppen für Schulkinder können es bei Ausfällen schon mal bis zu 60 Kinder sein.

Melzer: Da kann man dann nur noch dafür sorgen, daß die sich nicht die Ohren abreißen. Das ist katastrophal.

Neben der Veränderung des Personalschlüssels sollen auch Weiterbildung und Urlaubsregelungen verbessert werden.

Melzer: Vor allen Dingen sollen Vor- und Nachbereitungszeiten festgeschrieben werden, wie das auch den Lehrern in den Schulen zugestanden wird.

Cramer: Die berufliche Fortbildung für ErzieherInnen wird unglaublich selten wahrgenommen, weil wir uns nicht trauen, dahinzugehen, wenn wir wissen, unsere Gruppe in der Kita ist dann ohne Betreuung. Dann bleibt man der Fortbildung fern.

Der Senat sagt, der Tarifvertrag sei zu teuer.

Cramer: Sicher kostet mehr Personal auch mehr Geld, klar aber wir sind sicher nicht so verblendet, nicht zu sehen, in welcher fianziellen Lage der Senat sich befindet. Aber die Verbitterung ist groß, weil aus anderen Anlässen durchaus Hundertausende von Mark aus dem Hut gezaubert werden.

Melzer: Schon bevor der Senat die Verhandlungen hat scheitern lassen, hat die ÖTV das Angebot gemacht, erstmal den Ist-Zustand festzulegen und dann schrittweise zu verbessern. Nach dem Arbeitskampf wird es keinen Tarifvertrag zum Nulltarif mehr geben.

Interview: kotte

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