: Zwei Jahre Intifada: Israel zieht Bilanz
Symposium an der Hebräischen Universität von Jerusalem / Hat der Palästinenseraufstand die Öffentlichkeit beeinflußt? / Militärs sehen Trends zu zivilem Ungehorsam und Erfolge bei Bekämpfung des Widerstandes ■ Aus Tel Aviv Amos Wollin
Zwei Jahre nach Beginn des Palästinenseraufstands in den besetzten Gebieten zieht Israel Bilanz. Im Mittelpunkt stehen dabei oft eher die Entwicklung der Intifada und deren Bekämpfung als diplomatisches Bemühen um politische Lösungen.
Anläßlich eines akademischen Symposiums zu diesem Thema haben Experten der Hebräischen Universität von Jerusalem die Ergebnisse ihrer Untersuchungen vorgelegt. Für Dr. Abraham Sela, der sich mit dem israelisch-arabischen Konflikt befaßt, haben die Palästinenser ihr Ziel verfehlt, die israelische Öffentlichkeit von ihrem Anliegen zu überzeugen. Die israelische Bevölkerung interpretiere die Signale der Intifada als Ausdruck der Gewalttätigkeit. Sela meinte, die Palästinenser hätten bessere Chancen, die Weltöffentlichkeit erfolgreich zu beeinflussen, wenn ihre Aktionen den Charakter von Massendemonstrationen „wie derzeit in Mitteleuropa“ hätten.
Demgegenüber machte Mosche Lisk, Professor für Soziologie, sehr wohl Veränderungen in Israel aus. Er wies auf die soziale Revolution hin, die mit der Intifada einhergegangen sei. Eine neue Führergeneration sei angetreten, die anders agiere als ihre Vorgänger. Die Intifada habe gezeigt, daß Israel die Palästinenser nur um den Preis immer höherer Kosten im wirtschaftlichen, politischen und moralischen Bereich beherrschen könne. Und diese Last, so Lisk, werde immer schwerer. Auch die Sicherheitsdoktrin Israels sei ins Wanken geraten. Einen nationalen Konsens über die Frage, wie der arabische Widerstand gebrochen werden könne, gebe es heute nicht mehr. Auch zwischen der politischen und der militärischen Führung käme es zu Meinungsverschiedenheiten. So erregte beispielsweise Stabschef Schomron kürzlich mit seiner Bemerkung, es gebe keine militärische Lösung für die Intifada, den Ärger von Ministerpräsident Schamir.
Der Aufstand, auch das wurde bei dem Symposium deutlich, hat die Unterschiede zwischen den in Israel und in den besetzten Gebieten gültigen Rechtswesen vertieft. In Israel mehren sich die Stimmen, die ein Zusammenleben als unmöglich ansehen und eine Trennung zwischen der israelischen und palästinensischen Bevölkerung fordern.
Jifrach Silberman von dem Truman Institute, ein Spezialist für Veränderungen in der palästinensischen Gesellschaft, sieht den größten Erfolg der Intifada in der Loslösung von Jordanien. Die Palästinenser vertrauten jetzt auf ihre eigene Kraft. Dies bedeute eine Neuformierung der palästinensischen Gesellschaft mit einer sich verändernden nationalen Identität. Obgleich Israel eine eigenständige wirtschaftliche Entwicklung in den besetzten Gebieten unterbinde, sei es den Palästinensern gelungen, sich weitgehend von der israelischen Ökonomie zu lösen. Auf der anderen Seite werde jedoch die Einheit im palästinensischen Lager durch die Spaltung zwischen der PLO und der fundamentalistischen Hamas-Bewegung verhindert.
Der zunehmende Einfluß von Hamas wird auch von israelischen Politikern hervorgehoben. Als Ursachen dafür werden unter anderem das Fehlen einer politischen Lösung und der jüngste Wahlerfolg der Moslembrüder im benachbarten Jordanien benannt. Im Verteidigungsministerium heißt es, unter den Palästinensern gebe es eine wachsende Tendenz zu Aktionen des zivilen Ungehorsams und der Herausbildung unabhängiger lokaler Institutionen.
Gleichzeitig verweist die Armeeführung auf mehrere Erfolge im Kampf gegen die Intifada in den letzten sechs Monaten. Dazu zählt die Festnahme von über hundert Aktivisten des „harten Kerns“ oder die Durchsuchung auch entlegener Dörfer, um Unabhängigkeitserklärungen zu verhindern. Daß die Zahl der verletzten und getöteten Palästinenser erschreckend hoch ist, wird mit der Politik des Militärs begründet, auf maskierte Palästinenser das Feuer zu eröffnen. Auf diesen Tatbestände spielte Lisk an, als er auf dem Symposium erklärte, die Gewalt nehme auch in Israel selbst zu.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen