: Beschaffung vor Gericht
■ Bewährung mit Therapieauflage für 38jährigen
Während einer Haftstrafe von Juni bis November 1987 habe der 38jährige Sven G. Arbeitslosenhilfe bezogen, ohne dazu berechtigt zu sein. Als er dann aus dem Knast kam, habe er beim Sozialamt zusätzlich zur Alhi noch Überbrückungsgeld kassiert. Mit diesen beiden Anschuldigungen konfrontierte gestern Staatsanwalt Haar den drogenabhängigen Arbeitslosen vor dem Bremer Amtsgericht. Das „erschlichene“ Geld brauchte der Beschuldigte für Drogen: Im Knast war er abhängig geworden.
G. steckt in dem für die Szene geradezu typischen Teufelskreis von Sucht und Beschaffung. Seit 14 Monaten ist er obdachlos und übernachtet im AK in der Weberstraße.Seine Arbeitslosenhilfe wurde ihm jetzt von 438 Mark auf 348 Mark (14tägig) gekürzt. Diesen „Anspruchsverzicht“ mußte er leisten, um die insgesamt 6.100 Mark Leistungen aus dem Jahr 1987 an das Arbeitsamt zurückzustottern. Der Staatsanwalt wähnte ein leichtes Spiel: Leistungen würden - so plädoyierte er weltmännisch - „sehr häufig doppelt und dreifach bezogen. So auch hier.“ Der Betrug als Delikt
sei dem Angeklagten zwar „wesensfremd“. Neben den Rückzahlungen an die Ämter sollte er trotzdem als Strafe zusätzlich 150 Tagessätze zu 10 Mark zahlen.
Amtsrichterin Horn wollte sich ein möglichst umfassendes Bild vom Angeklagten machen. Deshalb verlas sie G.s gesamtes Vorstrafenregister: Jede Schwarzfahrt war da seit 1967 aufgelistet. Sie habe anfänglich den Eindruck gehabt, so die Richterin laut in den Raum, daß die Vorstrafenkartei versehentlich zweimal angefordert worden sei. „Da kommt ja ganz hübsch etwas zusammen“, tadelte sie den Angeklagten und schüttelte skeptisch den Kopf. Die vom Staatsanwalt geforderte Geldstrafe ging ihr nicht weit genug. G. habe sich trotz seiner hohen Schulbildung (Fachabitur) treiben lassen und keinen energischen Willen zur Ausübung eines Berufes gezeigt. Die Haftstrafe von fünf Monaten setzte sie zur Bewährung aus. Auflage: Ein Bewährungshelfer und eine Drogentherapie, die G. schon lange vor dem Prozeß beantragt hatte. So soll G. bald ein „normales“ Leben führen.
ma
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen