: „Wir müssen den IWF als Realität akzeptieren“
DDR-WirtschaftsforscherInnen über Sonderzonen, Joint-ventures und den Internationalen Währungsfonds ■ I N T E R V I E W
In der Ost-'Berliner Zeitung‘ erschienen am 17. November Überlegungen zum Konzept „DDR und die Internationale Arbeitsteilung“, verfaßt von Christine Kulke-Fiedler, Jürgen Nitz und Eberhard Lang. Die drei MitarbeiterInnen des Ostberliner Instituts für Internationae Politik und Wirtschaft (IPW) befürworten die Einrichtung von Wirtschafts -Sonderzonen, Joint-ventures und die Prüfung des Beitritts der DDR zum IWF.
Der erste Teil des Interviews, das sich mit der Arbeit der drei AutorInnen am IPW und mit der Wende in der Wirtschaftswissenschaft befaßte, erschien am Dienstag.
taz:Was Sie da in der Zeitung vorschlagen, ist für die westdeutsche Linke bisweilen ein rotes Tuch, etwa der Beitritt zum IWF, aber auch die Wirtschaftssonderzonen, die ja in der Dritten Welt sehr umstritten sind.
Kulke-Fiedler: Wir haben die Sonderzonen in Entwicklungsländern, in China, aber auch in der Sowjetunion, Bulgarien, Polen usw. analysiert. Diese Zonen sind ungeeignete Instrumente, grundlegende wirtschaftliche oder soziale Probleme eines Landes zu lösen. Aber historische Erfahrungen mit diesen Zonen zeigen, daß punktuelle Fragen damit angegangen werden können; durch Sonderzonen um große Seehäfen herum oder an anderen Verkehrsknotenpunkten beispielsweise.
Welche punktuellen Probleme könnten denn damit gelöst werden?
Kulke-Fiedler: In Seehäfen könnten beispielsweise Umschlagszeiten gesenkt, Lagerbedingungen verbessert, im grenznahen Bereich günstigere Bedingungen für die Zusammenarbeit mit ausländischen Firmen geschaffen werden. Massenhafter Technologieimport kann dagegen nicht bewerkstelligt werden.
In Entwicklungsländern sind soziale Spannungen ja vor allem durch jene Sonderzonen aufgekommen, in denen produziert, also nicht nur Dienstleistungen erbracht wurden. Wollen Sie auch Produktionseinrichtungen steuerlich begünstigen oder gar gewerkschaftsfrei halten? Wenn Sie nur Lagerung und Umschlag in den Häfen im Auge haben, ist das nur ein verschwindend kleiner Bereich.
Kulke-Fiedler: Wir wollen nicht nur einfach Sonderzonen. Damit zusammen diskutieren wir die Joint-ventures. Wenn ich ein sozial-ökonomisches und ökologisches Wirtschaftssystem anstrebe, so muß dieser Grundsatz natürlich auch für diese Zonen gelten, selbstverständlich auch für die gewerkschaftliche Interessenvertretung. Wir schließen nicht aus, daß in Sonderzonen beispielsweise an Verkehrsknotenpunkten auch Gewerke angesiedelt werden können, die verkehrsbezogen sind, oder im grenznahen Bereich auch die Ansiedlung steuerbegünstigter Produktionen gefördert werden könnte. Was mir an den bisherigen Modellen im RGW-Raum nicht gefällt, ist, daß sie wie exterritoriale Inseln behandelt werden. Ich will, daß weder die Sonderzone noch das Joint-venture ökologisch oder sozial außerhalb der Gesellschaft steht.
Nitz: Das ist ein grundlegender Streitpunkt, den wir mit anderen Ökonomen im RGW haben, beispielsweise mit Kollegen aus der UdSSR. Sie sind eher Praktiker und meinen, daß das die Lösung ihres Westhandelsproblems wäre.
Sie kritisieren aber doch auch, daß die Joint-ventures noch an Unterkapitalisierung leiden.
Kulke-Fiedler: Nein, ich meine lediglich, daß die Erwartungen einiger RGW-Länder, die Gemeinschaftsunternehmen könnten massenhaft Kapital importieren, enttäuscht wurden.
Müssen Sie denn dann nicht dafür eintreten, daß die steuerlichen Anreize sogar noch erhöht werden?
Kulke-Fiedler: Diese Überlegungen gab es in einer Reihe von RGW-Ländern. Die steuerlichen Regelungen wurden immer großzügiger. Meiner Ansicht nach liegt das Problem woanders. Attraktiv werden die Joint-ventures, wenn solche Bemühungen mit verstärkten eigenen Anstrengungen zur Modernisierung der Wirtschaft verknüpft werden.
Wenn in der DDR Joint-ventures zugelassen sind, so läuft das doch darauf hinaus, daß Privateigentum an Großbetrieben für Ausländer gestattet ist, während es für Inländer nach wie vor ausgeschlossen sein soll. Ist das denn gerecht?
Nitz: Nein, das stimmt nicht. Wir wollen Privateigentum an Produktionsmitteln nicht nur über Joint-ventures einführen, das ging ja auch aus der Regierungserklärung Modrows hervor.
An Großbetrieben soll es doch aber kein Privateigentum geben.
Nitz: Was ist groß?
Beispielsweise ein Kombinat.
Nitz: Nun wird es ja jetzt nicht dazu kommen, daß wir ein ganzes Kombinat zum Gegenstand für ein Joint-venture machen. Ein Kombinat besteht ja aus vielen Einheiten, die etwa einzeln mit ausländischen Firmen zusammenarbeiten könnten.
Lang: Heute haben wir vier Prozent der Wirtschaft in privater Hand. Wenn es jetzt zehn Prozent werden, was eine große Entwicklung wäre, haut das die DDR nicht um. Es gab Zeiten, da waren es 50 Prozent.
Das kann ja vielleicht auch einmal mit dem anderen Punkt zusammenhängen, den Sie empfehlen: Den IWF-Beitritt. Der Internationale Währungsfonds verfolgt eine Wirtschaftspolitik, die auf Privatisierung hinausläuft. Wenn Sie vom IWF Kredite haben wollen, was für Sie als verschuldetes Land durchaus in Frage kommen kann, wird der IWF ja entsprechende Forderungen stellen.
Nitz: Wir haben ja nur die „ernsthafte Prüfung eines Beitritts“ gefordert.
Ich sehe hinter der Aufforderung zur ernsthaften Prüfung, daß Sie sich eine Mitgliedschaft sehr gut vorstellen können.
Kulke-Fiedler: Natürlich haben wir Grund, darüber nachzudenken, warum die DDR eines der ganz wenigen Länder dieser Welt ist, das nicht Mitglied in solchen internationalen Institutionen oder Organisationen ist. Außerdem akzeptieren wir ja nicht erst seit heute, daß diese Länder in der Weltwirtschaft eine erhebliche Rolle spielen. Das heißt nicht, daß wir die Praktiken des IWF in Entwicklungsländern gutheißen. Das, was DDR -Wirtschaftswissenschaftler anläßlich der IWF-Tagung im vergangenen Jahr in Berlin an IWF-Kritik zu Papier gebracht haben, ist beleibe nicht seit der Wende bei uns hinfällig.
Meinen Sie denn, daß der IWF eine Art Katalysator sein könnte für Wirtschaftsreformen, die ohne diesen äußeren Einfluß nicht durchsetzbar wären - wie das etwa einige in Polen erhoffen?
Kulke-Fiedler: Der Druck in unserer Öffentlichkeit in Richtung auf Reformen ist so groß, daß wir so eine Hilfestellung nicht brauchen.
Der IWF ist für Sie jedenfalls kein rotes Tuch.
Kulke-Fiedler: Nein. Wir wollen ihn als Realität akzeptieren und von dieser Basis aus die kritische Auseinandersetzung mit ihm suchen über seine Praktiken und seine Zusammensetzung. Ich kritisiere zum Beispiel, daß der IWF zur Lösung der Entwicklungsländer-Probleme nichts Wesentliches beigetragen hat.
Aber was erwarten Sie sich denn Positives von einer IWF -Mitgliedschaft?
Kulke-Fiedler: Zunächst einmal, daß wir uns überhaupt an den internationalen Diskussionen, die in solchen Gremien laufen, beteiligen können. Wir sind ja jetzt völlig draußen vor. Zum zweiten: Ich kenne einige Leute innerhalb des Fonds, mit denen eine vernünftige Diskussion über die Weiterentwicklung unseres Währungssystems durchaus möglich und nützlich wäre, ohne daß wir die Absicht haben, uns da etwas vorschreiben zu lassen. Drittens: Die Weltbank, die Partnerorganisation des IWF, wäre mit ihren Entwicklungsprojekten in Drittwelt -Staaten sicherlich auch für die DDR interessant.
Interview: Ulli Kulke und Walter Süß
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