: Egon, das war's! SED-Parteitag schon morgen
■ Krenz auch als Staatschef geschaßt / Vorerst amtiert Gerlach / Panik-Parteitag der SED schon an diesem Wochenende / Arbeitsausschuß will SED zu „moderner sozialistischer Partei“ machen
Berlin (taz/dpa) - Aufstieg und Fall des Egon Krenz: Nur 50 Tage nach seiner Nominierung zum mächtigsten Mann der DDR hat der „Hoffnungsträger“ der SED all seine Ämter verloren: den Vorsitz im Staatsrat, der Partei und im Nationalen Verteidungsrat. Gleichzeitig wurde der Sonderparteitag der SED vorverlegt. Parallel dazu sind gestern alle Mitglieder des Nationalen Verteidigungsrates auf Beschluß des Staatsrates von ihrer Funktion abberufen worden. Weiterhin hat der Staatsrat eine umfassende Amnestie für alle Häftlinge verkündet, die zu einer Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren verurteilt wurden.
Zum amtierenden Staatsratsvorsitzenden wurde der Chef der Liberaldemokraten (LDPD), Manfred Gerlach, bestimmt. Gerlach ist damit das erste nichtkommunistische Staatsoberhaupt in der Geschichte der DDR. Er will aber nicht für dieses Amt kandidieren, sagte er sofort, sondern einen unabhängigen Kandidaten unterstützen. Ein regulärer Nachfolger von Krenz kann nur von der Volkskammer gewählt werden.
Seit seinem gestrigen Rücktritt als Staatsratsvorsitzender ist der 52jährige Krenz nur noch einfacher Abgeordneter in der Volkskammer und einfacher Delegierter für den Sonderparteitag der SED. Dieser Parteitag, ursprünglich geplant für den 15.-17. Dezember, wurde gestern von dem provisorischen SED-Arbeitsausschuß auf morgen, den 8.Dezember vorverlegt. Der Ausschuß sei „durch die im Lande und in der Partei entstandene Situation“ zu dieser Entscheidung gelangt, hieß es.
Der Arbeitsausschuß werde einen Bericht über die Situation in der Partei und ihre Ursachen geben sowie Vorschläge für die radikale, von der Basis ausgehende Neuformierung der SED zu einer modernen sozialistischen Partei. Im Mittelpunkt der Diskussion sollen die nächsten Aufgaben der Partei stehen. Vorgeschlagen werde, auf dieser Sitzung des Parteitages Leitungsgremien zu wählen, die die Handlungsfähigkeit der SED als gleichberechtigte Partei im Prozeß der Erneuerung der Gesellschaft gewährleisteten. Der Parteitag müsse den eindeutigen Bruch mit dem „stalinistischen System und dem von ihm hervorgebrachten Machtmonopol und Machtmißbrauch vollziehen“.
Egon Krenz war nach dem Sturz von Erich Honecker in der zweiten Oktoberhälfte zunächst zum SED-Generalsekretär und wenige Tage später zum Staatsratsvorsitzenden gewählt worden. Er galt lange Zeit als „Kronprinz“ von Honecker.
In die Schußlinie der öffentlichen Kritik geriet Krenz vor allem, weil ihm die manipulierten Kommunalwahlen im Frühjahr angelastet wurden. Auch die Rechtfertigung des Massakers in China warfen ihm seine Landsleute vor.
Kaum war Krenz abgetreten, meldete sich die Bundesregierung zu Wort und befand überraschend, daß der Rücktritt von Egon Krenz nicht überraschend sei. Krenz selbst habe seit seinem Amtsantritt seine baldige Ablösung für möglich gehalten, meinte Regierungssprecher Hans Klein gestern in Bonn. Die politischen Gruppierungen und Parteien in der DDR hätten den Rücktritt immer deutlicher verlangt. Auch die FDP -Generalsekretärin Cornelia Schmalz-Jacobsen sah Krenz‘ Rücktritt als „absehbaren und folgerichtigen Schritt“. Damit seien aber die Probleme in der DDR nicht gelöst, erkannte sie scharfsichtig. Für die CSU-Landesgruppe sah deren Vorsitzender Wolfgang Bötsch nun die Chance zu personellen Entscheidungen für den Kurs einer „glaubwürdigen, grundlegenden und dauerhaften Demokratisierung der DDR“. Der Rücktritt „war zwangsläufig“.
Und was sagte schon Herbert Wehner im Gespräch mit Günter Gaus am 8.Januar 1964: „Das SED-Experiment wird fürchterlich enden, mit einem moralischen Katzenjammer und einer sittlichen Vernichtung derer, die einmal aus ehrlichen Absichten kommunistische oder sozialistische Vorstellungen solcher Art zu realisieren versucht haben.“
bam
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