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Ruhe im Knast dank Psychopharmaka

Situation in der Justizvollzugsanstalt Straubing wird bayerischen Landtag beschäftigen / Zwangsweise Verabreichung von Neuroleptika steht im Mittelpunkt der Kritik von seiten der Grünen / CSU sieht keinerlei Handlungsbedarf - eine Expertenkommission abgelehnt  ■  Von Bernd Siegler

Die niederbayerische Stadt Straubing ist in Bayern der Inbegriff für Knast schlechthin. Dort sitzen in der Justizvollzugsanstalt 800 Häftlinge, darunter viele „schwere Jungs“, also sogenannte Mehrfachtäter und Schwerverbrecher. Straubing hat zudem die einzige psychiatrische Abteilung der bayerischen Gefängnisse. Haus III ist die Endstation für psychisch kranke, selbstmordgefährdete und im alltäglichen Vollzug aufgefallene Gefangene. Seit Jahren schon ist die Psychiatrie in Straubing, ein „Gefängnis im Gefängnis“ (Münchener Stadtmagazin 'Prinz‘), in der Schußlinie der Kritik, derzeit durch Aussagen von Häftlingen, die von zwangsweiser Verabreichung von Neuroleptika bzw. der Verwendung gefährlicher Medikamente berichten. Auf Initiative der bayerischen Grünen wird sich jetzt nächste Woche das Landtagsplenum damit beschäftigen müssen.

Schon im Oktober dieses Jahres hatten die Grünen in einem Dringlichkeitsantrag gefordert, daß die Verabreichung von Neuroleptika gegen den Willen der Gefangenen in Straubing, einzustellen seien. Der Antrag scheiterte im Sozial- und Rechtsausschuß des Landtags an der Stimmenmehrheit der CSU. Selbst eine Untersuchung der Zustände in Haus II durch eine unabhängige Expertenkommission lehnte die christsoziale Mehrheit ab. Inzwischen sind den Grünen mehrere in der Haftanstalt verwendete und kursierende Psychopharmaka teilweise originalverpackt von Gefangenen zugesandt worden, unter den Medikamenten auch das Neuroleptikum Leponex 100.

Insbesondere das Bekanntwerden dieses, von der Sandoz -Tochter Wanderpharm in Nürnberg hergestellten Medikaments hat hektische Aktivitäten ausgelöst. „Leponex ist das einzige Mittel, um starke Schizophrenie zu behandeln, ohne das Parkinson-Syndrom hervorzurufen“, lobt Dr. Seiter, Produktmanager von Wanderpharm, auf einer eilends von der Anstaltsleitung einberufenen Pressekonferenz sein Produkt.

Er muß jedoch auch zugeben, daß Leponex nach einer längeren Einnahme zu einer Blutbildveränderung führen könne. 1975 habe es dadurch in Finnland acht Todesfälle gegeben. „Deshalb darf Leponex nur noch von einem Arzt verschrieben werden, der dem Hersteller schriftlich versichert hat, über die Wirkung und Anwendung Bescheid zu wissen“, versichert Seiter. Bei dem Leiter von Haus III in Straubing, dem Psychiater Dr. Thomas Schwarz, sei das aber der Fall, die entsprechenden Kontrolluntersuchungen würden auch gemacht.

Darüber hinaus versicherte Ministerialdirigent Dietl vom bayerischen Justizministerium, daß „im Haus III absolut korrekt gearbeitet“ werde. Keine Gefangenen würden gegen ihren Willen mit Neuroleptika behandelt werden. Es sei denn, es bestehe die Gefahr, daß der Häftling aufgrund seiner Krankheit sich selbst oder andere lebensbedrohlich gefährdet. Dies sei im Paragraphen 101 des Strafvollzugsgesetzes geregelt.

Genau an diesem Punkt setzt die Kritik von Käthe Liedel, Strafvollzugsreferentin der bayerischen Grünen, ein. „Es ist eine entscheidende Frage, wann dieser Paragraph angewandt wird“, das Präparat also über den Kopf der Betroffenen hinweg verabreicht wird. Zudem hat sie den Eindruck, daß, seitdem Dr. Schwarz im Februar 1989 die Leitung des Hauses III übernommen habe, nachdem sein Vorgänger wegen eigener Rauschmittelabhängigkeit ausgeschieden war, die diagnostizierten Psychosen wie zum Beispiel Schizophrenien zugenommen hätten. Von Gefangenen ist ihr geschrieben worden, daß bereits ein ganz normaler „Haftkoller“ in Bayern ausreiche, um auf Haus III verlegt zu werden. Dort würden Neuroleptika kursieren, die dann auch Gefangenen zugänglich wären, bei denen eine medizinische Indikation gar nicht vorliege.

„Mit der unkritischen Verteilung von Psychopharmaka und einer entsprechenden Diagnostizierung will man doch nur Sicherheit, Ruhe und Ordnung in der Anstalt sicherstellen“, lautet Käthe Liedels Kritik am Umgang mit zum Teil gefährlichen Medikamenten. Allein der von Dr. Schwarz geprägte Begriff der „Milieutherapie“, bei der Beruhigung und Absonderung einen hohen Stellenwert genießen, läßt es für die Strafvollzugsreferentin naheliegend erscheinen, daß es nur darum geht, „pflegeleichte“ Gefangene zu schaffen. Für Käthe Liedel ist es entscheidend, daß die Behandlung mit Neuroleptika eine zwingend notwendige begleitende Therapie nicht ersetzen darf.

In Straubing ist Dr. Schwarz der einzige Psychiater, drei Psychologen sind für 800 Gefangene zuständig. Einen Therapeuten gibt es jedoch nicht. Der grüne Landtagsabgeordnete Hartmut Bäumer fordert, daß psychisch kranke Häftlinge in Krankenhäuser außerhalb des Vollzugs verlegt werden müßten. „Psychopharmaka haben im Strafvollzug nichts zu suchen.“

Ihr Engagement für die Situation der Häftlinge in den bayerischen Knästen blieb für Käthe Liedel nicht ohne Folgen. Seit Ende 1986 hat sie ein bayernweites Besuchsverbot. Damals hatte sie in der Öffentlichkeit, gestützt auf Berichte von amnesty international, den Vorwurf erhoben, in Straubing würden „Menschenversuche“ gemacht. Die Anstaltsleitung reagierte mit einer Strafanzeige wegen übler Nachrede. Das Verfahren wurde zwar gegen Zahlung einer Geldbuße eingestellt, doch kam im Laufe des Prozesses ans Tageslicht, daß der damalige Haus-III-Leiter Dr. Last eine „klinische Erprobung“ des Depot-Neuroleptikums Daptoum D an 193 Gefangenen durchgeführt hatte. Die Medikamente dafür bekam Last kostenlos von der Regensburger Herstellerfirma gestellt, sein Abschlußbericht wurde entsprechend honoriert. Als daraufhin die SPD im bayerischen Landtag, der zuständigen Rechtsaufsicht für die medizinischen Belange der Justizvollzugsanstalten, intervenierte, betonte Justizministerin Berghofer-Weichner, sie habe zwar von nichts gewußt, aber es sei trotzdem „alles in Ordnung“.

Auch die Veröffentlichungen über Straubing und die Aktivitäten der Grünen haben anstaltsintern für Konsequenzen gesorgt. Die Einnahme der verordneten Psychopharmaka wird zwar jetzt streng kontrolliert, doch wurden einige Gefangene, die als mögliche Informanten galten, abgesondert. Ihre Zellen wurden durchsucht und eidesstattliche Erklärungen beschlagnahmt.

Das Beharren auf Ruhe und Ordnung im Knast ist aber nicht nur Leitfaden für die Praxis auf Haus III, sondern auch für die von Bayern und Berlin beantragte Änderung des Stafvollzugsgesetz. Darin soll wieder mehr Gewicht auf Schuld und Sühne gelegt, der Resozialisierungsgedanke dagegen wieder zurückgedrängt werden.

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