Die Strafbarkeit der Selbstveränderung

■ Noch eilt die Meldung „Hungerstreik strafbar“ den Ereignissen voraus

Besonders optimistisch kann Generalbundesanwalt Rebmann auch nach dem neuesten Beschluß des Ermittlungsrichters des BGH nicht sein. Denn wenn auch seinem Antrag auf Beschlagnahme eines an den Verteidiger gerichteten Briefes stattgegeben wurde, so hat der Richter zwar den dafür erforderlichen Tatverdacht bejaht, aber doch eine gewisse Reserve erkennen lassen. Den Strafverfolgungsbehörden stehe für die Annahme eines Verdachts „ein weiter Beurteilungsspielraum zu“ - ganz im Gegensatz zum Gericht, das letztlich über die Strafbarkeit der Teilnahme am Hungerstreik zu entscheiden hat. Noch also eilt die Meldung „Hungerstreik strafbar“ den Ereignissen voraus.

Grund zur Beunruhigung gibt es gleichwohl. Auch Herr Rebmann wird nicht bestreiten, daß unser Strafrecht immerhin so rechtsstaatlich ist, daß weder die Forderung nach veränderten Haftbedinungen noch die Verweigerung der Nahrungsaufnahme im Gefängnis strafbar sind. Offenbar sind es die dahinterliegenden Absichten der Hungerstreikenden, die die Strafbarkeit begründen sollen. Werden Absichten bestraft, so sind wir wieder beim Gesinnungsstrafrecht unseliger Zeiten angelangt. Aber welche Absichten hatten sie denn eigentlich? Ihr erklärtes Ziel war es, unter sich einen Kommunikationszusammenhang zu stiften. Objektiv bedeutete dies die Forderung nach einer Situation, in der sie ihre Erfahrungen, Hoffnungen, Illusionen und Irrtümer verarbeiten und damit das Recht erhalten konnten, das vielleicht das elementare Menschenrecht ist: das Recht auf Selbstveränderung.

Die Gefangenen selbst mögen das auch heute noch anders sehen. Vielleicht glaubten sie, sie könnten durch die Zusammenlegung so etwas wie eine kollektive politische Identität stiften - niemand, weder wir noch sie, konnten wissen, ob und in welcher Richtung sich eine Veränderung ihrer politischen Haltung vollziehen würde. Was sie forderten, war etwas, dessen Erfolg sie selbst nicht voraussehen konnten, mithin ein Risiko für sich selbst. Das ist das Äußerste, das ein rechtsstaatliches Strafrecht von einem Verurteilten verlangen kann, wenn es denn nicht in den Bekenntniszwang der Inquisition zurückfallen soll. Paradoxerweise konnten die Gefangenen diese Forderung nur stellen, weil sie ihre Aktion politisch verstanden - das Politische ist, man möge das gutheißen oder nicht, ihr Medium, in dem allein sie offenbar das Risiko der Selbstveränderung eingehen können. Wir hatten schon immer den Verdacht, daß sie es ist, die Herr Rebmann am allerwenigsten will.

Ulrich K. Preuß

Der Autor ist Staatsrechtsprofessor in Bremen und war 1968 in der SDS-Auslandsgruppe Paris.