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Keine Harmonie im Dschungel der EG-Mehrwertsteuern

Die EG-Wirtschafts- und Finanzminister sind bei der „Annäherung der indirekten Steuern“ kaum weitergekommen / Grenzöffnung ohne Grenzüberschreitung  ■  Aus Brüssel Michael Bullard

Bundesdeutsche Einzelhändler in den nördlichen und westlichen Grenzgebieten hatten sich schon „Berliner Verhältnisse“ wie im November 1989 erhofft, wenn zum Jahreswechsel 1991/92 die Schlagbäume fallen. Die erwarteten Scharen ausländischer Käufer, die von dem zwischenstaatlichen Mehrwertsteuergefälle profitieren wollen, werden allerdings ausbleiben. Alle Modelle, dieses Gefälle zu verringern, sind bislang an der Uneinmütigkeit der EG-Finanz- und Wirtschaftsminister gescheitert. Ihrer Halsstarrigkeit haben es beispielsweise die grenzüberschreitenden Auto-Shopper zu verdanken, daß sie auch nach 1992 die Mehrwertsteuer statt in der billigeren Bundesrepublik in ihrem eigenen Land entrichten werden müssen.

Zwar ist der enorme Unterschied zwischen den Mehrwertsteuern - in Frankreich liegt sie derzeit bei etwa 25, in der BRD bei 14 Prozent - ein gewichtiges Hindernis für das im Weißbuch für den Binnenmarkt formulierte Ziel der EG, 1992 den gemeinsamen Markt zu errichten. Dennoch werden sich die Staats- und Regierungschefs der EG auch bei dem Gipfeltreffen in Straßburg nicht zu einer Änderung der Politik ihrer Minister durchringen können. In überraschender Einmütigkeit haben diese sich bislang den Versuchen der für Steuerfragen zuständigen EG-Kommissarin Christiane Scrivener widersetzt, die „Hamonisierung“, oder wie es seit einiger Zeit weniger ehrgeizig heißt, die „Annäherung der indirekten Besteuerung“, also der Mehrwert- und Verbrauchsteuern, durchzusetzen.

Das vorläufige Ergebnis jahrelanger Beratungen: trotz des anvisierten Wegfalls der Grenzkontrollen soll es zumindest für eine Übergangszeit bis Ende 1996 bei dem bisherigen System bleiben, daß jede gewerblich exportierte Ware im Ursprungsland von der Mehrwertsteuer freigestellt und nach dem im Bestimmungsland geltenden Satz besteuert wird. Die Steuerkommissarin war hingegen in ihrem Konzept davon ausgegangen, daß in einem einheitlichen EG-europäischen Wirtschaftsraum grenzüberschreitende Geschäfte wie innerstaatliche Umsätze zu behandeln seien. Deshalb sollten die Güter im Ursprungsland besteuert werden. Wegen des großen Steuerunterschieds zwischen den EG-Ländern - die Mehrwertsteuersätze reichen von null Prozent für Kinderkleidung in Großbritannien bis 38 Prozent für einige Produkte in Italien - wäre aber die Einrichtung einer zwischenstaatlichen Clearingstelle zum Ausgleich von Steuerausfällen nötig geworden. Das hielten die Minister jedoch für zu aufwendig.

Für die dänische Regierung kam noch ein anderer Grund hinzu: In Dänemark ist die indirekte Besteuerung so hoch, weil damit ein großer Teil des Systems der sozialen Sicherung finanziert wird. Und für den Süden der EG ist die Mehrwertsteuer ein wichtiges Mittel, um die Staatskasse zu füllen.

Allerdings wird das System häufig durchbrochen: so gibt es in den meisten Ländern zwei Mehrwertsteuersätze, einen ermäßigten für die alltäglichen Gebrauchsgüter, und einen regulären für fast alle anderen Güter. In Belgien wird der Konsum mit sechs verschiedenen Mehrwertsteuersätzen gelenkt, in anderen als Luxussteuer eingesetzt.

Immerhin stimmten die Minister der Steuerkommissarin zu, als sie im Mai dieses Jahres für den Normalsatz der Mehrwertsteuer statt einer Bandbreite zwischen 14 und 20 Prozent die Einführung von Mindestsätzen in Höhe von 15 Prozent vorschlug. Als es dann jedoch um die Festlegung dieser Mindesätze ging, war die Einigkeit dahin. Selbst im Falle der Bundesrepublik, wo es sich lediglich um ein Prozent gehandelt hätte, weigerte sich Bundesfinanzminister Waigel kategorisch, dem Mindestsatz zuzustimmen. Zu sehr befürchteten die Minister, daß ein EG-Zugriff auf ihre Kassen ihren Spielraum einengen könnte.

Inzwischen zeichnet sich ab, daß der Gegenvorschlag der Minister zur grenzüberschreitenden Mehrwertbesteuerung nicht minder bürokratisch ist. Denn die bisherigen Kontrollen beim Grenzübergang sollen nach ihrem Willen durch mehr oder weniger strikte Überprüfungen im Versand- wie im Empfangsland ersetzt werden. Nach der Vorstellung der französischen Regierung müßte jedes Unternehmen monatlich eine Liste sämtlicher im- und exportierten Waren zur Überprüfung bereithalten.

Ursprünglich sollten die Listen gleich an die zuständigen Finanzämter geschickt werden. Die Beamten hätten dann Millionen von Aufstellungen im Stichprobenverfahren mit den ihnen aus den anderen EG-Ländern zugeschickten Listen vergleichen müssen. Der Einfachkeit halber schlägt Christiane Scrivener jetzt vor, den Unternehmen lediglich vorzuschreiben, die Unterlagen aufzubewahren und auf Verlangen vorzuzeigen. Waigel hält es sogar für ausreichend, wenn die Betriebe ihre Umsätze wie bisher einfach dem Finanzamt melden.

Abzusehen ist, daß die ministeriellen Schildbürger mit ihrer halbherzigen Steuerpolitik Schmuggel- und Schiebergeschäften im EG-Stil fördern: Autohändler X deklariert eine Fuhre feinster Daimler als Exportgut Bestimmungsland Frankreich - und wird so von der inländischen Mehrwertsteuer befreit. Statt die Autos allerdings zu exportieren, verhökert er sie im Inland und streicht die 14 Prozent Mehrwertsteuer als Sonderprofit ein.

Welch mafiafreundlichen Charakter die Ministertreffen haben, zeigt sich auch daran, wie die anderen Steuerprobleme bewältigt werden, die die Tagesordnungen der Politiker füllen: die Quellensteuer war schon im Sommer am Widerstand der Regierungen Luxemburgs, Großbritanniens und der BRD gescheitert. Als Ersatz schlug Mitterrand vor, Steuerhinterziehung durch eine bessere Amtshilfe zwischen den zwölf Steuerbehörden zu verhindern. Gegen diesen Vorschlag grenzüberschreitender Zusammenarbeit legte die Regierung Luxemburgs jedoch ihr Veto ein. Eine Lockerung des Bankgeheimnisses wäre das Ende mindestens der großherzoglich luxemburgischen Schwarzgelddepots gewesen.

Da die Minister Steuerfragen nur einstimmig beschließen können, legte die EG-Kommissarin inzwischen einen „weicheren“ Kompromißvorschlag vor, wonach die EG -Mitgliedsstaaten gebeten werden, zumindest beim Verdacht „ernsthafter“ Steuerhinterziehung tätig zu werden. Gleichzeitig aber hat die Kommission auch ihre Absicht fallengelassen, eine Mitteilung der Banken über bestimmte Geldtransfers vorzuschreiben. Damit sollte das „Waschen“ von Drogengeldern erschwert werden. Doch weil neben Waigel auch seine Kollegen aus Griechenland, Portugal und Luxemburg ein Meldeverfahren für Kapitalerträge ablehnen, konnten sich die Minister nicht einmal darauf einigen.

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