Wendet die EG ihren Blick von Süd nach Ost?

■ Handelsabkommen „Lome IV“ zwischen der Europäischen Gemeinschaft und den AKP-Staaten verabschiedet / 66 Länder Afrikas, der Karibik und des Pazifik erhielten in letzter Minute Hilfszusagen / Auseinandersetzung zwischen Nord und Süd innerhalb der EG

Berlin (taz/afp) - „Osteuropa ist nicht der gesamte Rest der Welt“, empörte sich der nigerianische Botschafter James Iroha in der vergangenen Woche in Brüssel. Er faßte damit die Befürchtungen der 66 Staaten aus Afrika, der Karibik und dem Pazifik (AKP) in Worte, durch das vermehrte Engagement der EG in den „Reformstaaten“ könnten die Belange der Dritte -Welt-Länder in Vergessenheit geraten.

Die Vertreter der AKP-Staaten und der EG waren Ende November in Brüssel zusammengekommen, um über einen Nachfolger für das Abkommen „Lome III“ zu verhandeln, jenen Vertrag, der sowohl den Zugang für viele Produkte auf den EG -Markt als auch die Entwicklungszusammenarbeit zwischen den beiden Gruppen regelt. Am Donnerstag vergangener Woche jedoch waren die Gespräche über „LomeIV“ für gescheitert erklärt worden. Erst am Mittwoch einigten sich die Delegationen doch noch auf einen neuen Vertrag.

Die Konvention „LomeIII“ läuft im Februar 1990 aus. Ob ihre Nachfolgerin noch - wie im EG-Terminplan ursprünglich vorgesehen - am 15.Dezember in der Hauptstadt von Togo, Lome, unterzeichnet werden kann, war über Wochen fraglich. In EG-Kreisen galt das Ministertreffen in Brüssel in der vergangenen Woche als die allerletzte Gelegenheit zur Einigung.

In den Auseinandersetzungen zwischen den AKP-Staaten und der EG ging es im wesentlichen um die finanzielle Ausstattung von „LomeIV“. Die AKP-Staaten hatten 32 Milliarden Mark für Hilfsprojekte in den kommenden fünf Jahren gefordert. Gegenüber „LomeIII“ hätte das eine Verdoppelung der Mittel bedeutet. Die 66 Staaten begründeten ihre Forderungen damit, daß in den kommenden Jahren weitere Politikfelder wie der Umweltschutz oder die Förderung neuer Technologien sowie Maßnahmen zur Strukturanpassung in die Zusammenarbeit zwischen der EG und den AKP-Staaten einbezogen werden müßten. Außerdem werde der AKP-Block um drei neue Mitglieder, Haiti, die Dominikanische Rpublik und Namibia, erweitert.

Von der EG waren diese Forderungen immer wieder zurückgewiesen worden. Lange Zeit hatte die Gemeinschaft dem Vorschlag von 32 Milliarden aber auch kein konkretes Verhandlungsangebot entgegengesetzt. Der Grund: Die zwölf waren unter sich uneins über die finanzielle Hilfe für ihre 66 ehemaligen Kolonien. Vor allem die Bundesrepublik, die Niederlande und Großbritannien hatten sich gegen eine wesentliche Aufstockung der Mittel ausgesprochen. Diese Staaten setzen vorrangig, so betonten sie immer wieder, auf das Prinzip „Hilfe zur Selbsthilfe“. Ganz anders dagegen die Position der Südländer: Sie wollen „Lome IV“ durchaus aufstocken, um dadurch Produkte aus den AKP-Staaten vom gemeinsamen Markt fernzuhalten. Die „Hilfe zur Selbsthilfe“ der Nordländer galt ihnen in erster Linie als eine Anregung der AKP-Exporte in die zwölf Mitgliedsstaaten.

Erst vor der letzten Verhandlungsrunde schlug die EG ihrerseits 24 Millarden Mark als „vernünftige Grundlage“ für „Lome IV“ vor - das entspricht einer Aufstockung der Mittel um etwa 40 Prozent. Von dem Betrag zeigten sich Diplomaten aus den AKP-Staaten „enttäuscht“. In bezug auf Handelserleichterungen und die Preise für Agrarprodukte einigten sich die beiden Parteien auf ihrem letzten Treffen, nachdem sich die EG beim zollfreien Zugang für einige landwirtschaftliche Produkte wie Erdbeeren und Trockenfrüchte kompromißbereit gezeigt hatte.

Der in den Gesprächen ausgehandelte Spielraum ist in den Augen der AKP-Staaten jedoch immer noch sehr gering. Sie wollen ihre Außenhandelsbilanz verbessern; deswegen sind ihnen auch die Ursprungsregeln der EG, die den weiterverarbeiteten Produkten aus Nicht-EG-Ländern unter bestimmten Konditionen Zollfreiheit einzuräumen, zu rigide.

Bis zuletzt gingen EG-Beamte in den Verhandlungen davon aus, daß am Ende doch noch ein Kompromiß erzielt würde. Noch während der laufenden Verhandlungen am Mittwoch hieß es gegenüber der taz, beide Seiten hätten sich in den wesentlichen Punkten einander angenähert. Es ginge nur noch um Einzelheiten, bevor formal eine Einigung erreicht würde. Die EG kam den AKP-Staaten noch um einige hunderttausend ECU entgegen, und noch am gleichen Tag einigten sich die Verhandlungsparteien auf eine Verlängerung der Konvention. Für die Dritte-Welt-Länder ging es um wenig oder gar nichts.

Von der EG wird „Lome“ gern als beispielhaft für die Zusammenarbeit zwischen Industrieländern und sogenannten Entwicklungsländern hingestellt. An dem bestehenden Nord-Süd -Gefälle ändert es hingegen nichts. Es steht für die Fortsetzung einer Entwicklungspolitik, die seit der Kolonialzeit einen Kompromiß - zuungunsten der Dritte-Welt -Staaten - zwischen den Interessen der Industriestaaten am gesicherten Zugang zu Rohstoffen und Absatzmärkten für Industriegüter sowie den Forderungen der AKP-Staaten nach einer neuen Weltwirtschaftsordnung darstellt.

Eindeutig instrumentalen Charakter hat das EG-Hilfspaket für die Dritte Welt jedoch auch nicht. Auch wenn der Anteil der EG-Hilfe für die AKP-Staaten nur einen Bruchteil der Auslandsverschuldung dieser Staaten deckt: Immer mehr Dritte -Welt-Länder wollen den „Lome„-Abkommen beitreten, um wenigstens von den Brosamen europäischen Reichtums etwas abzubekommen.

Bei „Lome III“ etwa ging es für einen Zeitraum von fünf Jahren um rund 17 Milliarden Mark, pro Jahr also um weniger als 4 Milliarden. Bei einer Außenverschuldung von rund 174 Milliarden Mark aber fallen für die AKP-Staaten allein zur Tilgung der Zinsen 16 bis 20 Milliarden Mark jährlich an.

Dies und die Tatsache, daß sich die Europäische Gemeinschaft nun auch vermehrt in Staaten wie Polen, Ungarn und der DDR engagiert, bringen die Lome-Partner der EG offenbar in einen direkten Zusammenhang mit dem Sparkurs der Gemeinschaft in den Verhandlungen um „Lome IV“. So weit hergeholt ist diese Befürchtung nicht: Schließlich hatte die EG im Rahmen des auf dem Weltwirtschaftsgipel in Paris beschlossenen Hilfspaktes für Polen auch Kredite der Europäischen Investitionsbank (EIB) in Höhe von 2,2 Milliarden Mark bewilligt. Kredite zur Finanzierung von Projekten in Nicht-EG-Staaten waren bis dahin im wesentlichen Ländern der Dritten Welt vorbehalten gewesen. An dieser Furcht, mehr und mehr an den Rand gedrängt zu werden, ändern auch Beteuerungen des französischen Staatschefs und derzeitigen EG-Ratspräsidenten Francois Mitterrand nichts, die Hilfe für Osteuropa werde nicht auf Kosten der Dritten Welt gehen.

bu