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Kleine Geschichte des Poststadions

■ Chronik eines Verfalls: Wie man eine Sportstätte verkommen ließ

Bereits vor 20 Jahren war die Instandsetzung des Tiergartener Poststadions Gegenstand der öffentlichen Diskussion. Für zwei Millionen Mark, errechnete 'Die Welt‘ im Dezember 1970, hätte es in eine „moderne Wettkampfstätte“ umgewandelt werden können. Doch nichts geschah, außer daß die zuvor installierte bundesligataugliche Flutlichtanlage wieder demontiert wurde.

Bis Anfang 1973 kletterte der Kostenvoranschlag für die Renovierung der ehrwürdigen Spielstätte auf bereits acht Millionen Mark. Handlungsbedarf? Fehlanzeige! Schließlich spielte Bundesligist Hertha BSC im Olmypiastadion, wohin es auch den designierten Erstliga-Aufsteiger Tennis Borussia zog. Ehre, wem Ehre geziemt - und das Poststadion, es blieb höchstens ein Ausweichquartier, wenn Umbauten im Olympiastadion anstanden. Ansonsten wurde es tunlichst außer Acht gelassen.

1978 kam frischer Wind in die Akte Poststadion: Berlins Fußballpräsident Eberhard Hartlep schlug einen Umbau in ein reines Fußballstadion vor. Fassungsvermögen: 50.000 Zuschauer! Der Entwurf scheiterte hauptsächlich an der Zurückhaltung von Hertha BSC und der Opposition des Berliner Leichtathletik-Verbandes (BLV): „Wir sind dabei, die Abwehrfront zu organisieren“, drohte BLV-Präsident Jochen Günther. So blieb es bei der Erneuerung des Spielfeldes und dem Versprechen seitens des Senats, die Sportanlage ab 1981 für 16,8 Millionen Mark zu renovieren. Dennoch wurde es wieder mucksmäuschenstill ums Poststadion; allein die 50.000 Mark Unterhaltskosten pro Jahr, die der Senat zubutterte, retteten das Anwesen vor dem endgültigen Ruin.

Die Stadionkapazität mußte jedoch von der Baupolizei mittlerweile auf 8.000 Plätze reduziert werden. Mit dem schleichenden und unaufhaltsamen Niedergang des Berliner Profi-Fußballs gewann das längst vergessene Poststadion wieder an Attraktivität. Tennis Borussia, Hertha BSC und Blau-Weiß 90 fanden sich in den sportlichen Niederungen wieder. Was jetzt not tue, so der organisierte Berliner Fußball, sei ein zweitligataugliches Fußballstadion, möglichst mit anturnendem „Löwenkäfig„-Effekt. Der christliberale Senat verstand den Unwillen der hiesigen Zweitligisten, im riesigen Olypiastadion mit 100.000 Zuschauerplätzen spielen zu müssen, und offerierte, eine Arena für den Berliner Profi-Fußball aus den Poststadion zu machen.

85 Millionen Mark wollte es sich der Senat damals kosten lassen, die Laufbahn aus dem Hauptspielfeld zu verbannen; sie wäre dann anderswo neu errichtet worden. Der Neubau hätte schließlich 25.000, wenn nicht sogar später 50.000 Menschen Platz geboten. Bei diesen sensationellen Überlegungen spielte natürlich die visionäre Olympiade 2004 in Gesamt-Berlin eine entscheidende Rolle.

Jürgen Schulz

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