Ziehungsvorgänge

Millionen starren auf Lostöpfe, der Loren auf die Beine, Pavarotti auf den Wanst: Die Fußball-WM ist los  ■  P R E S S - S C H L A G

Ein schönes Gefühl: Du bist nicht allein auf dieser Welt, brauchst keine Depressionen zu kriegen, die Bettdecke nicht über den Kopf zu ziehen, weil: Millionen Mitmenschen teilen dein Schicksal. Ach was, mehr als 500 Millionen sogar sollen es gewesen sein, von Tingavoi über Usatomba bis Krasnovsk, verteilt auf dem ganzen Globus, alle hockten vor einem Fernseher (vielleicht war es das, was Papst J.P.II. zu Rom die Hoffnung schenkte, die WM möge „die fundamentale Einheit der Menschheit wiedergeben“) und interessierten sich für nichts als „39 Ziehungsvorgänge“ ('dpa‘).

Der Teamchef weilte auch schon wieder unter der großen Familie der Ziehungsvorgangsverfolger rsp. genau genommen saß er im Palazzo dello Sport, was im Grunde selbstverständlich sein sollte und es aber doch wieder nicht ist, weil er zur „Blitzaktion Quartierbeschaffung“ aufgebrochen war und diese überraschend blitzartig zur vollsten Zufriedenheit abschließen konnte.

Das muß jetzt doch ein wenig ausführlicher erklärt werden, weil es der erste berichtenswerte Skandal ist, nachdem wir in die „vorentscheidende Phase“ ('SZ‘) der Fußball -Weltmeisterschaft 1990 eingetreten sind. Die Deutschen spielen in Verona, hatte es geheißen von den Organisatoren, die ARD-Sportschau hatte über Monate ihr intelligentes Gewinnspiel „Ciao-Männchen“ darauf abgestellt (“...fahren Sie mit zwei Personen nach Verona“), Beckenbauers Franz wurde fündig bei der Suche nach einem schnuckeligen Hotel, die Zimmermädchen schütteln seit Wochen schon die Kissen auf, daß unsere Jungens auch gut liegen, und dann kommen die Italiener (was uns bei denen nicht wundert) und sagen: no.

Zwei Tage vor den 39 Ziehungsvorgängen sagen die no bzw. „ab nach Mailand“, was natürlich unzählige Probleme aufwirft, u.a. oben erwähnte „Blitzaktion Quartierbeschaffung“ nötig macht, welche aber zügig bewältigt wurde („ein schönes Haus bei Como“). Trotzdem, wenn wir nicht gewinnen sollten kommenden Sommer, läßt sich das auf jenes „böse Handikap“ (Netzer) schieben, und keine andere Mannschaft verfügt zu einem so frühen Zeitpunkt über den psychologischen Vorteil der Niederlagenprophylaxe.

Aber der Deutsche ist ja flexibler als gemeinhin angenommen und hat dem Umzug die guten Seiten abgewonnen, wie der Litti z.B., dessen Kollegen Andy, Klinsi und Lothar schließlich in Mailand ihrem Beruf nachgehen, im San-Siro -Stadion (Nostalgiker, wie wir sind, bleiben wir beim alten Namen), und „sich dort auskennen bis zu den Huppeln im Rasen“ (Pierre Littbarski).

Man kann sich das leicht vorstellen: Die Teams stehen bereit, gleich werden sie einlaufen, und der Dorfner muß mal. Immer ist er so nervös, der alte Zappler, aber macht nix, weil der Matthäus sagt „hier lang, zweiter Gang rechts, und dann die dritte Tür linker Hand“, und wieder einmal kann eine deutsche Mannschaft komplett antreten, während zwei Araber erst Tage später völlig verzweifelt von einem Zeugwart im Umkleideraum der Ersatzschiedsrichter gefunden werden.

Womit ganz beiläufig zu einem Kontrahenten der Vorrunde übergeleitet wäre, was letztlich nichts hilft, weil über die Vereinigten Arabischen Emirate keiner was weiß, „nur daß es sie gibt“ (Beckenbauer). Volle 216 verschiedene Kombinationen der Loszuteilung waren möglich, und die Bundesrepublik muß grad gegen die Araber kicken, wo sich der Franz doch durchgängig leichte Gegner gewünscht hat, aber: „Es sollen nicht zu Namenlose sein. Gegen die tun wir uns immer so schwer.“ So gesehen hat's nicht viel schlimmer kommen können, denn die Kolumbianier und Jugoslawen lassen sich ja immerhin auf der Landkarte finden und sind uns auch sonst so unbekannt nicht (Kokain, Cevapcici).

Alles in allem war es dann doch eine toller Losvorgang, schon weil Sophia Loren ein rotes Kleid an hatte (Gerd Rugenbauer: „Genießen Sie den Anblick“), Luciano Pavarotti im Trainingsanzug „O sole mio“ sang, und Giorgio Moroders (der Hymnendichter von Los Angeles und Seoul) WM-Schnulze von Gianna Nannini und Edoardo Bennato in italienisch vorgetragen so herrlich „dolce“ klingt (wahrscheinlich müssen wir dann die englische Version hören, und die tönt wie das alte „Riehtsch aut vor ßä Mädels“).

Nach so einer Sendung müßte der Bildschirm schwarz werden, weltweit, damit die Bilder in der Seele nachwabern können, aber dann schalten sie um zu Heribert Faßbender, und dann fühlt man sich wieder schrecklich alleingelassen auf dieser Welt.

Thömmes