: „Drogenszene“ am Stutti
Das blaue Klosterfrau-Melissengeist-Schild bürgt für Tradition. Die Auslage stellt jedes Drospa-Schaufenster in den Schatten. Frei nach dem Motto „Von der Wiege bis zur Bahre, der Drogist führt jede Ware“ ist das Sortiment komponiert. Kein Kaufhausdekorateur könnte in zwei Schaufenstern die Vielfalt des Warenangebotes so präsentieren, wie das der „Chef“ schon seit Jahren selber tut. Eigentlich nennt ihn nur noch seine Frau so. Seit ihnen der Supermarkt die Kundschaft weggenommen hat, betreiben beide den Laden alleine. Dezent an der Seitenwand stehen Blasen- und Nierentee, flankiert von Hustensaft und Abführmitteln. Alles ist so geschickt plaziert, daß sie den beiden Plastikweihnachtsbäumchen nicht die Schau stehlen können. Die glitzern unter der Last künstlichen Schnees umringt von Kerzen jeder Art und für jeden Gebrauch. Die kleinen roten mit den Schleifchen ragen aus einem Chenillewaschlappen - kombiniert mit dem Schaumbad von 4711 seit Jahrzehnten die „ideale Geschenkidee“.
Vor dem Schaufenster drücken sich ein paar Kinder die Nasen platt. Im Gegensatz zum alternativen Laden für Holzspielzeug nebenan gibt es hier Plastikkram - für jeden erschwinglich: Armbanduhren für neunzig Pfennige, Seifenblasen, Kracher, Gummischlangen, der Haarfön für die Puppe, Stempel mit Schweinchen und Hasenmotiv und Wasserpistolen. Auch die kleinen Kunden werden behandelt wie die großen - egal ob sie für fünfzig Pfennige oder zwanzig Mark einkaufen. Jeder Kunde zählt in Zeiten der Konkurrenz durch Ladenketten. Zwischen Imbißbude und Alternativladen hat sich die Drogerie behauptet - allen Drospas und Kaufhäusern zum Trotz. Eine Mischung aus Nostalgie, Pastillen und Parfüm am Stuttgarter Platz. Man besteht auf seiner Existenzberechtigung durch Beharrlichkeit, die hin und wieder durch kleine Erfolgserlebnisse belohnt wird: Der „Chef“ freut sich wie ein König, wenn alle Fleckenentferner von Drospa nichts genützt haben und er dem reumütig zurückgekehrten Kunden den Nutzen alter Hausmittel demonstrieren kann und zu einem seiner braunen Fläschchen greift. Ein kleiner Triumph, der nicht nur den Umsatz fördert, sondern auch die Berufsehre.
Anna Steinicke
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