: Neue Regierung in der Zwangsjacke
General Augusto Pinochet hat sich in einem verfassungsrechtlichen und personalen Schützengraben verschanzt: Er selbst wird Mitglied des nationalen Sicherheitsrates und bis 1997 Oberbefehlshaber der Armee bleiben. Seine Verfassung aus dem Jahr 1980 kann nur mit einer Dreifünftelmehrheit geändert werden, die „Grundlagen der institutionellen Ordnung“ benötigen eine Viersiebtelmehrheit (Zentralbank-Gesetz, Gesetz, wonach Angestellte im öffentlichen Dienst nicht von ihren Posten versetzt werden dürfen), und die einfachen Gesetze (Privatisierung der Staatsbank und des Fernsehens sowie ein neues Terrorismusgesetz) eine absolute Mehrheit in beiden Kammern.
Von insgesamt 48 Senatoren werden neun Ende Dezember ernannt: zwei Richter vom Obersten Gerichtshof, ein früherer Präsident des Rechnungshofes, je ein Befehlshaber von Heer, Marine, Luftwaffe und Carabineros, ein ehemaliger Direktor einer Universität und ein Ex-Staatsminister. Zehnter Senator kann Pinochet werden, falls er seinen Posten als Oberbefehlshaber der Armee aufgibt. In Anbetracht mindestens neun vom Regime designierter Senatoren reichen die Stimmen von nur zehn gewählten, um die Verfassungsreform zu blockieren.
Für eine ausreichende Vertretung in beiden Kammern sorgt das Wahlgesetz: In 19 Wahlkreisen werden jeweils zwei Senatoren gewählt. Falls eine Liste nicht doppelt so viele Stimmen wie die nachfolgende erhält, entfällt auf jede Liste ein Platz. So bekommt zum Beispiel die Liste der „Concertacion Democratica“ insgesamt 46 Prozent (40 Prozent für Kandidat A und sechs Prozent für Kandidat B). Die Buchi -Liste „Demokratie und Fortschritt“ erzielt 24 Prozent (jeweils zwölf Prozent für ihre beiden Kandidaten C und D). In diesem Fall gewinnen Kandidat A und C je einen Platz. Dieses Vorgehen sichert dem Wahlverlierer unverhältnismäßig viele Senatoren und Abgeordnete, die Reformen verhindern können.
Neue Gesetze oder die Annullierung bestehender kann das Verfassungsgericht als „verfassungswidrig“ zu Fall bringen. Ihre Richter werden acht Jahre lang im Amt bleiben. Drei von ihnen werden vom Obersten Gerichtshof ernannt, der 1973 den Militärputsch begrüßt hatte. In den 16 Jahren Diktatur mit Tausenden Gefolterten, Ermordeten und Verschwundenen brachten sie keinen einzigen Angehörigen der Sicherheitskräfte hinter Gitter. Vor einigen Wochen hat Pinochet den Richtern des Obersten Gerichtshofes öffentlich eine Belohnung von 14 Millionen Pesos (100.000 DM) angeboten, wenn sie vorzeitig in Pension gehen, um ihren Stuhl für einen linientreuen Juristen zu räumen. Einige haben bereits eingewilligt.
Zwei Verfassungsrichter werden vom Nationalen Sicherheitsrat entsandt und jeweils einer vom Senat und vom Staatschef. Hier schließt sich der Kreis, denn die beiden einzigen demokratisch legitimierten Richter müssen mindestens drei Jahre lang beim Obersten Gerichtshof tätig gewesen sein. Und die wurden alle von Pinochet persönlich ernannt.
In den letzten Wochen versucht Pinochet, vollendete Tatsachen oder zumindest eine optimale Ausgangsposition für Verhandlungen zu schaffen: 19 altgediente Generäle hat er vor kurzem in den Ruhestand geschickt und durch seine Gefolgsleute ersetzt. Im Oktober hat er der Junta ein neues Militärgesetz vorgelegt. Danach soll der künftigen Regierung verboten werden, den Verteidigungshaushalt unter den Etat des Vorjahres zu senken, selbst für den Fall, daß Aufgaben der Militärs beschnitten werden. Die Gehorsamspflicht dem Präsidenten gegenüber soll nur für Einzelpersonen, nicht für die Institution Streitkräfte gelten. Als Staatssekretäre und persönliche Referenten darf der Verteidigungsminister nur Offiziere des Generalstabs wählen. Militärisches Personal, das den Präsidenten begleitet und bei Staatsbesuchen auftritt, soll vom Oberkommandierenden ausgesucht werden und das heißt: von Augusto Pinochet.
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