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Baker will alte Nato in neuem Haus

■ US-Außenminister trifft Kohl, Genscher und Momper in Berlin (West) / Treffen mit dem DDR-Ministerpräsidenten Modrow in Berlin (Ost) Baker entwirft neue europäische Architektur auf altem Fundament / Nato muß bleiben / Genscher beschwört Stabilität in Europa

Berlin (dpa/ap/taz) - US-Außenminister Baker hat nach seinem gestrigen ersten Besuch in der DDR und dem Treffen mit Ministerpräsident Modrow der DDR-Regierung die Unterstützung der USA bei den Reformbemühungen zugesagt. Mit seinem Besuch, so Baker, habe er auch eine gewisse Legitimität Modrows als Regierungschef unterstreichen wollen. Hans Modrow äußerte sich bei einer gemeinsamen Pressekonferenz vor dem Interhotel Potsdam seine Zufriedenheit mit dem Besuch Bakers. Der Dialog mit den USA, der schnell begonnen habe, solle sich „zu einer Kooperation entwickeln“, meinte Modrow. Über das Thema „Wiedervereinigung“ habe er mit seinem amerikanischen Gast nicht gesprochen.

Vor seinem Treffen mit Modrow hatte US-Außenminister Baker bei einer Rede in Berlin (West) vor dem Hintergrund der Diskussion um eine deutsche Wiedervereinigung „eine neue Architektur für eine neue Ära“ entworfen. In dieser müsse der Europäischen Gemeinschaft in Zusammenarbeit mit den USA eine Schlüsselrolle zukommen, sagte er bei einem Besuch in Berlin.

Bundeskanzler Kohl, der Baker zu einem Arbeitsfrühstück in Berlin (West) traf, betonte dabei „das vitale Interesse“ der Bonner Regierung, daß sich die Reformprozesse in Ost- und Mitteleuropa „in einem stabilen Umfeld“ abspielen. Unter Hinweis auf seinen deutschlandpolitischen Zehn-Punkte-Plan meinte Kohl, er habe darin klar zum Ausdruck gebracht, daß die Lösung der deutschen Frage in die europäische Architektur eingebettet werden müsse. Die Wiedervereinigung lasse sich nicht anhand eines Terminkalenders planen.

So großartig neu kann dieser europäische Entwurf allerdings nicht werden, denn er soll - so Baker - auf alten Fundamenten aufbauen. Es müsse Platz für alte Strukturen wie die Nato sein, auch wenn ihnen neue Aufgaben zukommen. Gleichzeitig sollen blockübergreifende Strukturen wie der Helsinki-Prozeß weitergeführt werden, mit denen die Teilung Europas überwunden werden kann. Diese „neue Architektur“ wird nach den Worten Bakers in einem „neuen Europa“ und neuen atlantischen Beziehungen (new atlanticism) münden. Es müßten auch Regelungen gefunden werden, die den Bestrebungen des deutschen Volkes und auch den Nachbarn Deutschlands Rechnung trügen.

Bundesaußenminister Genscher (FDP), der seinen amerikanischen Amtskollegen bei dem Kurzbesuch in Berlin begleitete, hob die notwendige Stabilität in Europa angesichts der Dramatik der Geschehnisse hervor. Nur mit Hilfe einer Politik der Verantwortung, Besonnenheit und des Augenmaßes könne aus der gegenwärtigen stürmischen Entwicklung ein gemeinsames europäisches Haus geschaffen werden, „in dem auch wir Deutsche uns in nationaler Einheit und in Harmonie mit unseren Nachbarn einrichten können“. Genscher dankte Baker, daß er nach Berlin gekommen sei, der Stadt, in der „das Herz der Deutschen schlägt“.

Der Regierende Bürgermeister Walter Momper (SPD) betonte, die Garantien der West-Alliierten bildeten nach wie vor einen Eckpfeiler der Existenz der Stadt. In der gegenwärtigen Entwicklung lägen auch Gefahren. Die westlichen Schutzmächte Berlins, aber auch die Sowjetunion als vierte Siegermacht des Zweiten Weltkrieges könnten gemeinsam helfen, diesen Prozeß der friedlichen Überwindung der Gegensätze in Europa in stabile Bahnen zu bringen.

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