: go Margot go: Ein Bildungsroman von Dubski und Preiß
■ 13. Das Selbst und das Selber
13. Das Selbst und das Selber
In meinem Gesichtsfeld sehe ich das Bild eines Baumes. Und wo siehst du das Gesichtsfeld? Eigentlich war Margot entschlossen gewesen, über solche Fragen keine weiteren Gedanken zu verschwenden und lieber mit Perfect Love herumzufahren. Doch der verliebte Ex-GI schlief wohl, draußen regnete es, und sie saß in einem Sprechzimmer.
Die Frage nach dem Gesichtsfeld stand auf einem Schild an der Wand, und sie verlängerte die Frage, denn da hing ja kein Baum, sondern es waren Buchstaben, schwarz und eckig, und die Buchstaben bildeten sich in ihrem Gesichtsfeld, der Baum in ihrer Vorstellung ab. Das Schild an der Wand, die Buchstaben sollten ihrem Sinn nach die zunächst unruhig Wartenden wohl in ihren jeweiligen Köpfen entführen. War's da ruhiger? Hinter der Tür jedenfalls der psychologischen Beratung für Studenten saß ein Bärtiger und wollte, daß sie erzählte.
Eigentlich gibt es überhaupt keine Probleme, fing sie an, wartete einen Moment und beobachtete in der Stille ihr lauerndes Gegenüber, das sich, aus therapeutischen Gründen wohl, das Rauchen versagte und statt dessen angestrengt seine Hände zusammenhielt. Sie streckte ihren Rücken, schaute noch einmal, strich sich über die Haare und befand sich plötzlich wieder im Einklang mit ihrer Berliner Geschichte. Sie schlug die Beine übereinander und überlegte, wie sie hinausgehen konnte, ohne ihn zu verletzen. Als die Stille laut wurde, räusperte sich der psychotherapeutische Nichtraucher und kommentierte in mühsamen Worten ihre Gesten. Von Sprechhemmungen war die Rede; davon, daß es doch schon gut und ein erster Schritt gewesen wäre, daß sie gekommen sei. Von einem Selbst sprach er in vielen Worten, das sich ausdrücken wolle und nicht könne. Selber! antwortete sie, es ist nicht das Selbst, das zu mir spricht, sondern das Selber. Das verstand der Bärtige nicht und ihm tat es im Innersten weh, daß er auf einmal hören zu müssen glaubte, was für ein Armleuchter er eigentlich sei. Hol mir eine rote Blume, verlangte Margot und war mit ihren Gedanken schon woanders. Dann überlegte sie, daß ihr Ich oder Selber, wie sie es nannte, sich wohl in ihren Beinen befinden müsse, denn die hatten sie an zweifelnd Wartenden schon hinausgeführt.
Und draußen stand ein um Erklärungen verlegener Wenzel, der nur mit einer weiteren Geschichte kommentieren konnte: Als wir Kinder waren, haben wir ein Spiel gespielt, in dem einer aus dem Zimmer geschickt wurde, während die anderen einen Gegenstand versteckten. Das Kind wurde dann hereingerufen und sollte das Verborgene suchen. Wenn es sich weg von dem Gegenstand begab, riefen die Kinder: „Kalt, kalt!“ Wenn es sich dem Versteck aber näherte, riefen die anderen: „Heiß“ und: „Noch heißer“ und schließlich: „Es brennt“, wenn er ganz nahe war. Sie wußte nicht, was er damit meinte, aber das war ja auch nicht so wichtig. In jedem Fall beschloß sie, morgen schon über die Grenze zu gehen. Fortsetzung folg
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