: Gegen den nationalen Taumel
■ Für eine ökologische Erneuerung der DDR / Bundesdeutsche Hilfe ohne Vorbedingungen
Christian Ströbele
Wiedervereinigung ist schneller als gedacht zum Thema geworden, ob es uns paßt oder nicht. Nicht nur Kohl und die Rechten in der BRD haben Pläne für die Wiedervereinigung auf die Tagesordnung gesetzt, auch ein großer Teil des Volkes der DDR fordert immer lauter „ein Volk“ und „Wiedervereinigung“. Auf diesem Hintergrund bestimmt die AL ihre Positionen:
Die AL spricht sich dagegen aus, die Wiedervereinigung jetzt auf die Tagesordnung zu setzen. Wir sehen, viele in der DDR erhoffen von der Wiedervereinigung die schnelle Lösung ihrer dringendsten Probleme. Es mag auch sein, daß die Wiedervereinigung in der DDR rasch zu gefüllten Läden, besseren Autos, mehr Konsum und Reisemöglichkeiten, zu reizvolleren Freizeitangeboten und effektiverer Produktion führen würde.
Aber die Niederlage der bürokratischen Planwirtschaft, die Ineffizienz und Unfähigkeit dieses Wirtschaftssystems zur Befriedigung der materiellen Bedürfnisse der Menschen sind kein Grund, sich nun gleich der kapitalistischen Marktwirtschaft mit der Zweidrittel-Gesellschaft in der BRD in die Arme zu werfen. (...) Mit dem Konsumangebot würden die Menschen in der DDR auch Massenarbeitslosigkeit, Wohnungsnot, die weitergehende Umweltzerstörung und die Mitverantwortung für die schlimme Ausbeutung in der sogenannten Dritten Welt übernehmen. Für Jahrzehnte würde die DDR das Sizilien der BRD bleiben, die unterentwickelte Region, die Extraprofite ermöglicht. (...)
Vor allem aber würde mit der Wiedervereinigung wieder die Chance vertan, auf deutschem Boden eine Gesellschaft zu entwickeln mit sozialer Sicherheit für alle, selbstverwalteten Produktionsmitteln, ökologisch bestimmter Produktion und Verkehrsmitteln und der Erhaltung der neu entwickelten Formen direkter Demokratie (manche nennen das Sozialismus). Eine solche Gesellschaft und Wohlstand müssen kein Gesetz sein. Es kommt darauf an, aus den Fehlentwicklungen mit den entsetzlichen Folgen für Mensch und Umwelt zu lernen, in der DDR, aber auch bei uns.
Gegen Nationalismus, Deutschtümelei, Vereinnahmung der DDR, gegen Wiedervereinigung setzt die AL die Forderung nach der eigenständigen Entwicklung in zwei deutschen Staaten mit offenen Grenzen und enger Kooperation in allen Bereichen. (...)
Kommentierendes Zuschauen reicht nicht. Die Entwicklung in der DDR betrifft uns mehr und mehr ganz direkt. Ausländerfeindliche und nationalistische Töne lassen uns auch in der DDR nicht gleichgültig. Das Entstehen neuer politischer Gruppen und Strukturen in der DDR geht uns an. (...)
Materielles Auskommen und Wohlstand sind Bedingungen für die Entwicklung einer selbstbestimmten, demokratischen Gesellschaft. Die Menschen in der DDR haben - verglichen mit den Bundesdeutschen - ein Vielfaches an Reparationen für die Kriegsfolgen in Osteuropa zahlen müssen. Die Schätzungen liegen zwischen 100 und 700 Milliarden Mark. Die DDR hat durch die Übersiedler ökonomischen Schaden in Milliardenhöhe erlitten. Die AL fordert deshalb die Streichung der DM -Schulden der DDR. Die AL setzt sich dafür ein, daß schnell bundesdeutsche Wirtschaftshilfe ohne Vorbedingungen und Auflagen zum Aufbau eines modernen Eisenbahnnetzes und einer ökologisch orientierten Erneuerung der Produktionsanlagen gegeben wird. (...)
Nach der Revolution in der DDR kann Rot-Grün in der BRD einen ganz neuen Sinn bekommen. Im derzeitigen bundesdeutschen Parteienspektrum kommt nur ein Regierungsbündnis von Grün-Alternativ mit den ökologisch orientierten Linken in der SPD in Betracht, um die Menschen in der DDR und den neuen politischen Gruppen dort eine eigenständige, selbstbestimmte, nicht-kapitalistische Entwicklung zu ermöglichen.
Die AL fordert von der SPD unzweideutige Entscheidungen und Aussagen gegen nationalen Taumel und die Pläne von Kohl und Lambsdorff, die auf Anschluß und Unterwerfung der DDR hinauslaufen. Die AL erwartet vom SPD-Parteitag eine Aussage mit einer Option für zwei deutsche Staaten in der derzeitigen Situation.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen