: 5.000 Folteropfer in Berlin
■ Interview mit Christian Pross von der Ärztekammer Berlin über das erste bundesrepublikanische Behandlungszentrum für Folteropfer
Berlin als ehemalige NS-Reichshauptstadt war Zentrum von Folter und Völkermord, und viele Ärzte spielten dabei als Folterknechte eine unrühmliche Rolle. Als eine Konsequenz aus der Historie plant die Berliner Ärztekammer nach den Worten ihres Präsidenten Ellis Huber ein medizinisches Zentrum, in dem Folteropfer psychotherapeutisch und medizinisch behandelt werden sollen. Es ist das erste in der BRD, Vorbilder gibt es vor allem in den skandinavischen Ländern, z.B. in Kopenhagen. Die taz sprach darüber mit Christian Pross, einem der Initiatoren.
taz: Welches Konzept steht hinter einem Behandlungszentrum für Folteropfer?
Christian Pross: Bisher gibt es in anderen europäischen Städten solche Zentren - das älteste in Kopenhagen. Unter den politischen Flüchtlingen auch in der Bundesrepublik gibt es zahlreiche Folteropfer, gerade bei Flüchtlingen aus dem Nahen Osten, aus dem asiatischen Raum, aber auch aus Sri Lanka. Diese Leute haben keinerlei psychosoziale Betreuung. Deshalb ist hier in Berlin schon vor zwei Jahren mit Unterstützung der Ärztekammer die psychosoziale Beratungsstelle Xenion gegründet worden. Dort konnten bisher nur ehrenamtliche Mitarbeiter psychotherapeutische Behandlung vermitteln. Die Flüchtlinge haben aber auch oft schwere körperliche Mißhandlungen erlitten, und deswegen wollen wir in Ergänzung zu Xenion ein medizinisches Zentrum gründen.
Welche Gruppen bereiten dieses Zentrum mit vor?
Das wird allein von der Berliner Ärztekammer vorbereitet. Hervorgegangen ist das Ganze aus einer Ausstellung zum Thema „Medizin im Nationalsozialismus“ im Frühjahr dieses Jahres. Wir haben dann überlegt, was man heute tun kann, um Folteropfern zu helfen. Es gibt Muster in anderen Ländern, die erfolgreich arbeiten und Verfolgten wieder ein einigermaßen menschenwürdiges Leben geben können.
Gibt es denn Erfahrungswerte dafür, wie lange so eine Behandlung dauert?
Aus Kopenhagen weiß man, daß die Behandlung in der Regel mehrere Monate bis zu einem Jahr dauert, manchmal auch länger.
Haben Sie schon einen Ort ins Auge gefaßt, an dem das Zentrum in Berlin liegen könnte?
Ja, wir dachten an ein leerstehendes Klinikgebäude, da gibt es jetzt einige in Berlin. Zum Beispiel im Klinikum Westend. Das muß aber alles noch geklärt werden.
Wer kommt denn als Träger in Frage?
Es wird sicher ein eingetragener Verein werden. Wir wollen uns jetzt an die Wohlfahrtsverbände, an den Bund, die EG und vielleicht an die UNO wenden, um die Finanzierung zu sichern. Die Gesundheitssenatorin hat uns 100.000 Mark zur Verfügung gestellt, um ein Jahr lang intensivst an der Vorbereitung zu arbeiten.
Haben Sie Schätzungen, wie hoch der Bedarf für eine solche Behandlung in Berlin ist?
Wir haben Zahlen von Xenion, die davon ausgehen, daß von den etwa 20.000 Flüchtlingen in Berlin ein Viertel Folterungen hinter sich haben und eine Behandlung bräuchten.
Interview: Kordula Doerfler
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