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Leimens Kosmopolit

■ Vor dem heutigen Daviscup-Finale legt Boris Becker im 'Sports'-Interview Herz und Verstand auf den Tisch

Boris Becker redet „wie ein halber Kommunist“. Sagt Eric Jelen, sein Partner im Doppel. Nun mag der 24jährige Schlägerschwinger, dessen Wiege wie die Marxsche in Trier stand, im Umgang mit ganzen oder teilweisen Kommunisten nicht besonders erfahren sein, was ihn aber am berühmten Kollegen aus Leimen so irritiert, sind Sätze wie diese: „Auf jeden Fall stört es mich sehr, daß soviel Geld in die Rüstung geht, dann davon haben wir nun wirklich mehr als genug. Viel zuwenig geht in den Umweltschutz oder wird für die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit ausgegeben. Zuwenig wird auch gegen die Wohnungsnot gemacht.“

So steht's im Interview mit der Zeitschrift 'Sports‘, die heute erscheint. Abschied vom „Bobele“? Ist da einer tatsächlich, zwischen Centre Court und Hotelsuite, auf andere Gedanken gekommen als nur die über das kommende Match? Erstaunen darf doch schon, wenn ein Weizsäcker-Fan plötzlich findet: „Warum soll man zur Bundeswehr? Ich würde kein Gewehr in die Hand nehmen.“ (Also gell, Herr Faßbender, Herr Kottkamp, nie wieder: Der Aufschlag ist seine stärkste Waffe.)

Zum Clown will Becker auch nicht werden, nur „weil da jemand mit Geld winkt“: „Das ist ein Witz, wenn ich bedenke, was ich dafür leiste: einen Tennisball rüberzuschuckeln übers Netz.“ Trotzdem machen sie einen Affen um den Star und hängen mit den Kameras am Schlüsselloch. Auch Boris glaubt, „Einfluß auf die Berichterstattung nehmen zu können“, wenn er nur einen Vertrag mit der Boulevardpresse abschließt. Becker kündigte den Pakt mit 'Bild‘ - auch ohne Wallraff gelesen zu haben: „Ich konnte mich mit der Art, wie die Geschichten erfinden und auch mit den Methoden, mit denen die arbeiten, nicht mehr identifizieren.“

Heute, in Stuttgart, geht's wieder ganz banal um Tennis. Da wird Becker zum Aufschlag den Ball hochwerfen und dabei in „outer space“ geraten, den Schläger („Mein Freund“) ansprechen und „den Gegner nicht aus den Augen lassen. Es ist wie im Zirkus, wo der Dompteur die Löwen nie aus den Augen läßt und versucht, die Tiere durch Blickkontakt, genauer: Geisteskontakt, zu beherrschen.“

Gespielt wird das Finale im Davis-Cup gegen die Löwen Edberg, Wilander und Jarryd. Die Interview-Passage um den bedeutendsten Wettbewerb im Wortlaut:

Becker: Ich bin eigentlich kein Einzelsportler wie die meisten anderen Tennisspieler. Ich spiele sehr gern im Team. Deswegen ist der Davis-Cup so toll, so ungeheuer interessant für mich.

Was ist das Besondere daran?

Daß man die Freude teilen kann.

Hängt diese Faszination Davis-Cup auch damit zusammen, daß Sie als quasi heimatloser Geselle elf Monate lang durch die Welt reisen und nun für Deutschland spielen können?

Das hat nie eine große Rolle gespielt.

Aber so haben Sie es mal formuliert.

Ja, ich habe schon viel gesagt, aber ich habe mich geändert. Okay: Es ist toll, wenn man in einem Stadion spielt und es sind die 10.000 wirklich für das Team, stehen hinter ihm und klatschen.

Und es wird auch die Nationalhymne gespielt. Und alles ist so feierlich.

Ja, das ist wichtig. Die Hymne hat eine kaum zu beschreibende Funktion. Man glaubt nicht, was da mit einem passiert. Es läuft dir irgendwie kalt den Rücken runter. Ich weiß nicht, was das ist. Wenn die Nationalhymne abends im ZDF oder der ARD gespielt wird, finde ich es immer ziemlich peinlich. Aber wenn sie im Stadion gespielt wird, und du bist auf dem Platz, und alle stehen auf und sind ruhig, dann hat das eine unheimliche Macht, und jeder kriegt eine Gänsehaut. Als Spieler kannst du die ersten Schläge glatt vergessen, die Knie zittern dir. Es ist eine tolle Stimmung, und irgendwie repräsentiert das dann Deutschland.

Sie sind stolz, Deutscher zu sein?

Völlig falsch. Das wäre die Ansichtsweise der Rechten. Aber nein. Um so etwas geht es gar nicht. Es ist einfach ein unglaubliches Gefühl, das ...

... nichts mit Nationalstolz zu tun hat?

Überhaupt nicht. Es hat nicht einmal etwas mit Heimat zu tun. Leimen ist mein „home“. Das Gerede von Deutschland was bringt's? Was soll's?

Das ist ein bißchen überraschend. Am Anfang ihrer Karriere wurden Sie als das deutsche Markenprodukt vereinnahmt. Von der Regierung wurden Sie als das Idealbild einer konservativ geprägten Jugend präsentiert, und nun gehen Sie auf Distanz zur Nation?

Ich mag es generell nicht, wenn mich jemand vereinnahmen will - ich will ich sein.

Sie spielen für Boris Becker, nicht für Deutschland?

Es ist doch Zufall, daß ich Deutscher bin. Wäre ich Italiener, würde ich halt für Italien spielen. Ich fühle mich als Kosmopolit. Jedes nationalistische Hochgefühl hat nichts mit mir zu tun.

Sie waren neulich in der DDR...

... Das war ergreifend. Vor dem Haus, in dem ich wohnte, haben sie in Autos geschlafen.

Sie haben ja intensiv mit den Leuten geredet. Hatten Sie das Gefühl, daß Wiedervereinigung in der DDR ein Thema ist?

Vielleicht ist es irgendwann in den nächsten Jahren mal ein Thema, aber im Augenblick haben die Leute andere Probleme. Dieses ganze Palaver finde ich für die Katz. Es geht einfach darum, daß sie gute Lebensbedingungen bekommen, daß sie einfach, wie ich mal sagen möchte, „sein“ können. Wiedervereinigung ist im Augenblick nicht das Thema.

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