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Schengen hat viele Namen

■ Das Scheitern des Abkommens über den Wegfall der sichtbaren Grenzen der EG

Die Umsetzung des Schengen-Abkommens über den Wegfall der sichtbaren Staatsgrenzen zwischen Frankreich, West -Deutschland und den drei Benelux-Ländern ist, nicht zum ersten Mal, vertagt worden. Die Unterzeichnung eines notwendig gewordenen Zusatzabkommens ist im letzten Moment wegen Differenzen über den Charakter der deutsch-deutschen Grenze und den Status der DDR-Bürger geplatzt. Damit werden Befürchtungen, der deutsch-deutsche Rummel könne die Integration West-Europas behindern, erstmals sozusagen institutionell bestätigt. Um das Schengen-Abkommen ist es nicht schade.

Was die Experten da als „Kompensationsmaßnahmen“ zum Wegfall der Grenzkontrollen ausgetüfelt hatten, paßt nicht ins Interieur eines offenen, demokratischen Europa 2000: Die weitere Entrechtung von Flüchtlingen etwa oder die datenschutzrechtliche Nullzone, die für Kommissar Computer installiert werden soll. Schon die Art, wie das Werk zustande kam - in Geheimverhandlungen ohne öffentliche Kontrolle - war ein Hohn auf das vielbesungene Europa des Bürgers. Doch zum Aufatmen besteht bei den Kritikern, die sich etwas scheuklappenhaft auf das Buhwerk Schengen eingeschossen hatten, kein Grund. Das Abkommen zwischen den fünf EG-Kernstaaten galt als Pilot-Projekt für den EG -Binnenmarkt. Je näher das immer wieder verschobene Stichdatum für das Inkrafttreten des Schengen-Abkommens nun an den Tag X für den grenzenlosen EG-Binnenmarkt rückt, um so überflüssiger wird es zwar selbst, doch die Experten für innere Sicherheit haben ihr Hirnschmalz keineswegs umsonst verbraten. Denn während sich die Schengen-Unterhändler am Pilot-Projekt abmühten, bastelten andere schon am Projekt. Das heißt im Eurokraten-Deutsch „europäischer Rechtsraum“ und scheint seinen Planern weithin als kontroll-freier Raum für die Staatsorgane vorzuschweben.

Minister, Polizeiführer und Geheimdienstler der zwölf EG -Länder treffen sich seit Jahren schon unter dem Titel „TREVI“ (Terrorisme, Radicalisme et violence international) zum Erfahrungsaustausch; mit den Kollegen von CIA und Mossad trifft man sich im Rahmen einer Organisation mit dem spannenden Decknamen „Kilowatt“ lieber im neutralen Bern. Eine Ad-hoc-Gruppe Brüsseler EG-Bürokraten werkelt derweil an einem EG-einheitlichen Asylrecht. Alles Bereiche, in denen sich selbst unter kühnen Verrenkungen aus den EG -Verträgen keine Rechtsgrundlagen konstruieren lassen. Das geplatzte Schengen-Abkommen, Anlaß zu einem - ganz kurzen Aufatmen.

Thomas Scheuer

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