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ANDROIDEN-R'n'B

■ „The Screaming Blue Messiahs“ im Loft

Es war einmal eine Zeit, in der gab es eine Band, die hieß „Motor Boys Motor“, und sie spielte einen ungeschlachten, durch nur wenige technische Feinheiten gebremsten Rhythm'n'Blues und rettete ihn so in die Achtziger hinüber. Die Songs kreisten um Themen wie die Familie Feuerstein (Here Come The Flintstones) oder andere rare Freuden des Alltags (Clean Shirt And A Shave). Sie waren Klasse, denn sie versprachen nicht mehr als Bollerrhythmus, Krächzgesang, Gitarre und Gitarre und das hielten sie, wenn auch nur eine Platte lang. Bill Carter hatte damals schon zuwenig Haare, und die hat er heute noch, auch wenn er inzwischen selbst singt und sich und sein schmückendes Rhythmusbeiwerk „Screaming Blue Messiahs“ nennt. Märchen, alte Geschichten, Stoff für die Umbaupausen.

Mr. Bill Carter hat es geschafft. Sex and Drugs and Rock'n'Roll. Bis auf seine Gitarre ist alles Staffage. Mit seiner Glatze immer noch am richtigen Fleck als Markenzeichen, ist er inzwischen bei der WEA gelandet, die ihm sicher ein Toupet finanzieren könnte. Nenn dich selbst Messias, spiel das alte Großmaul-Spiel, spiel den Maniac auf der Bühne, starr aus dem runden Babyface immer knapp übers Publikum, und knall die Gitarre im richtigen Moment gegen den Mikroständer, dann werden sie dir glauben. Spiel den Rotzbuben, den Verweigerer, auch wenn du inzwischen schon biblisches Alter für einen Popstar erreicht hast, sprich kein Wort zu den Leuten, hau ihnen deine verzerrten, verhallten und sonstwie mutierten Gitarrenfrequenzen um die Ohren, laß es rauschen, und sie werden dir glauben, denn du bist der Messias. Komischerweise funktioniert es.

Mutierte Gesellen vom fremden Stern, vom Rande des Verzerreruniversums. Aber die große, leuchtende Monsterglatze hat sich verfangen im eigenen Kult. Keine metallisch aufblitzenden, verzögert abgehackten Photonriffs mehr, kein polternd zuckender, dahinrumpelnder Androidenrhythmus mehr, keine unbeweglich starre Kälte inmitten lärmender Ekstase. Der Künstler reproduziert sich selbst in einer Sackgasse aus Tausenden von Effektgeräten und Pedalen, unfähig zu grooven im richtigen Moment. Sattdessen verpuffen immer neue Soundbomben im elektrisch aufgeladenen, monotonen Brei. Alte Klassiker werden vermantscht zu dröhnig dahinwabernden Langweilern. Man kann für den alten Glatzkopf Carter nur hoffen, daß es hauptsächlich an der Abmischung gelegen hat.

Thomas Winkler

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